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Das Winzerstübchen: Im Dezember geht das Licht aus. Beate Arthen weiß nicht, wie es weiter geht. Foto: Volker Watschounek

Winzerstübchen: „Am 3. Dezember ist Schluss“

Das urige Winzerstübchen in der Arndstraße ist auf der roten Liste der bedrohten Restaurant-Arten gelandet. Am 3. Dezember ist Schluss. Der DGB gibt niemanden die Schuld, weist aber darauf hin, dass das System hier versagt habe.

Volker Watschounek 3 Jahren vor 0

Lebendige Innenstadtquartiere brauchen flächendeckenden Schutz vor Teuerung. Die Invasion von Edelgastronomie und Edelwohnen raubt Städten ihre Eigenart und Attraktivität. Das Winzerstübchen in der Arndstraße: ein lebendes Beispiel.

Zur Vorgeschichte: Alles lief so, wie es immer schon war. Der Vorbesitzer hat sich wenig bis gar nicht um die Immobilie gekümmert, die Mieter haben in Eigenverantwortung das nötigste selbst gemanagt – bis zu dem Punkt, wo der Vermieter keine Lust mehr hatte und verkaufen wollte. Mieter haben zusammen Interesse bekundet. Sie wussten, auf was sie sich einlassen wollten. Keiner kannte den Zustand besser als sie selbst. In Zeiten, wo soziale Verantwortung nebensächlich geworden sind, Marktwirtschaft und Profitgier das Zepter in der Hand halten, ist das nebensächlich … So passierte, was passieren musste. Der Besitzer erteilte den Mietern eine Absage und verkaufte zu einem höheren Preis.

Neuer Besitzer stellt die Weichen

Der neue Besitzer wird das Haus modernisieren und alles umkrempeln. Nachdem die Verhandlungen mit Beate Arthen, Pächterin des Winzerstübchens gescheitert waren, sie sich auf die neuen Modalitäten nach soviel Jahren nicht einlassen wollte, hat er dem Winzerstübchen gekündigt. Beate Arthen sagt dazu, dass die neuen Eigentümer deutlich gemacht hätten, dass ein Lokal wie das Winzerstübchen einfach nicht mehr erwünscht sei. Nicht erwünscht in einem klassischen Wiesbadener Altbau, das die Investoren dem Vernehmen nach umfassend sanieren wollen und so erregt das absehbare Ende des hochgeschätzten Winzerstübchens im Dichterviertel die Gemüter.

„Der Markt kann vieles, aber er kann nicht alles wirklich gut. Wenn man seine Dynamik nicht in gemeinverträgliche Bahnen lenkt, geht er regelmäßig in die Irre.“ – DGB Wiesbaden-Rheingau-Taunus

Der DGB Wiesbaden-Rheingau-Taunus und die Initiative Gemeinwohl hat Vorfahrt merken dazu an: Dem Investor oder der Wirtin die Schuld für die verfahrene Situation zuzuschieben, sei ungerecht. Die Ursachen des Problems liegen tiefer. Hier mache sich Systemversagen bemerkbar: Der Markt kann vieles, aber er kann nicht alles wirklich gut. Wenn man seine Dynamik nicht in gemeinverträgliche Bahnen lenkt, geht er regelmäßig in die Irre. Ein plumpes Marktgesetz heißt Wertsteigerung – Einzelobjekte der Vermarktung sollen größtmögliche Renditen erwirtschaften. Das liegt im Interesse von Investoren, aber die Verantwortung für das Große und Ganze wie den sozialen Zusammenhalt, die Lebensqualität und die Unverwechselbarkeit eines Quartiers tragen sie nicht.

„Wo allein der Markt regiert, veröden gewachsene Strukturen. Der Investorengewinn wird optimiert, aber der charmante Mangel an Perfektion, das Ursprüngliche und Authentische lassen sich nicht wirtschaftlich optimieren und haben da kaum eine Überlebenschance.“ – DGB Wiesbaden-Rheingau-Taunus

Das gemütliche und urige Winzerstübchen ist  auf der roten Liste der bedrohten Restaurant-Arten gelandet – im totalsanierten Uhrturm und Weinhaus Kögler regiert meist der Leerstand. Und im Dichterviertel, Bergkirchenviertel oder Rheingau-Viertel/Hollerborn sowie an zahlreichen weiteren Stellen in Wiesbaden drückt der Gentrifizierungs-Schuh brutal, drohen Schäden, die sich im Nachhinein kaum reparieren lassen.

„Wir wissen: Grundsätzliche Änderungen erreicht man nicht von heute auf morgen, sie kommen im Einzelfall oft zu spät. Als Akut-Nothilfe sollte sich der „City-Manager“ im Fall des „Winzerstübchens“ beiden Parteien als Vermittler anbieten und städtische Hilfen bei der Kompromisssuche in Aussicht stellen.“ – Hans-Georg Heinscher, Sprecher der Initiative Gemeinwohl hat Vorfahrt

Sascha Schmidt, der Vorsitzender des DGB Wiesbaden Rheingau-Taunus, ergänzt, dass es über einen Versuch der Last-Minute-Schadensminimierung hinaus notwendig sei, in Wiesbaden rasch flächendeckende Erhaltungssatzungen für die Innenstadtquartiere in Kraft zu setzen. Bei allzu kleinteiligen Schutzzonen fällt manch Bewahrenswertes am Ende doch wieder durch den Rost. Als Eignerin von Liegenschaften kann und muss die Stadt Wiesbaden die Mieten für Wohn- und Gewerbeimmobilien auf erträglichem Niveau deckeln. Das wirke der Abwanderung von Bewohnern, Einzelhandel und Gastronomie, die nicht so zahlungskräftig seien, entgegen und setze keine Fehlanreize wie die nachträgliche Mietbezuschussung.

„Am 3. September gibt es nochmal ein letztes Winzerstübchen-Fest. Ab 17:00 Uhr wird auf der Herderstraße gefeiert, was das Zeug hält. Livemusik gibt es von der „Hausband“ The Fabs.“ – Beate Arthen, Gastwirtin mit Herz und Seele

Wer das Winzerstübchen nicht kennt, hat noch gut drei Monate Zeit es kennenzulernen. Es ist ein wahres Kleinod. Eine Gastwirtschaft, wie man sie allenfalls aus den 70er und 80er Jahren kennt. Ein Ort an dem sich Menschen treffen und unterstützen, ja weiterhelfen. Als wir zum ersten Mal durch die Türe traten, fühlten wir uns erinnert an ein Beisel, so wie man sie heute noch in verschiedenen Straßen in Wien findet. Mit dem kleinen Unterschied: In Wien genießen sie unausgesprochen Bestandsschutz. Bleibt zu wünschen, dass Beate Arthen in ähnlicher Lage einen neue Heimat für Ihr Winzerstübchen 2.0 findet. Sie sucht, um da weiter zu machen, wo sie am 3. Dezember aufhören muss.

Bild oben Beate Arthen ©2021 Volker Watschunek

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Die offizielle Facebookseite des Winzerstübchens finde Sie unter www.facebook.com.

 

 

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Volker Watschounek lebt und arbeitet als freier Fotograf und Journalist in Wiesbaden. SEO und SEO-gerechtes Schreiben gehören zu seinem Portfolio. Mit Search Engine Marketing kennt er sich aus. Und mit Tinte ist er vertraut, wie mit Bits und Bytes. Als Redakteur und Fotograf bedient er Online-Medien, Zeitungen, Magazine und Fachmagazine. Auch immer mehr Firmen wissen sein Know-how zu schätzen.