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Antisemitismus: Dr. Jacob Berg referiert über die Zeit des Nationalsozialismus in Wiesbden.

Antisemitismus in Wiesbaden vor 1933

Am Montagabend fand im Neuen Rathaus Wiesbadens die zentrale Gedenkveranstaltung zur Befreiung des Konzentrationslagers Ausschwitzendes statt. Der Historiker Dr. Jacob Berg gab Einblicke in das dunkelsten Kapitels der Stadtgeschichte.

Volker Watschounek 2 Jahren vor 0

Erinnerungen wach halten. Wegschauen, folgenloses Erklären oder gar Kleinreden verbietet sich. Antisemitismus entgegen treten: damals wie heute.

Am 27. Januar, dem Tag der Befreiung von Auschwitz, gedenken wir der Opfer des nationalsozialistischen Unrechtsregimes, eröffnete Wiesbadens Stadtverordnetenvorsteher Dr. Gerhard Obermayr am Montagabend die zentrale Gedenkveranstaltung der Opfer des Nationalsozialismus. Dem Gedenken an alle Menschen die Antisemitismus erlebt haben, die zwischen 1933 und 1945 entrechtet, gequält und ermordet wurden. Aber auch schon vor 1933 wurden jüdische Mitbürger in Wiesbaden nicht als ebenbürtige Menschen betrachtet. Was nach Hitlers Machtergreifung am 30. Januar 1933 in den Straße von Wiesbaden allgegenwärtig wurde,  dafür lagen die Wurzeln viel früher. Im Rahme der Veranstaltung beleuchtete dies Dr. Jacob Berg, den Obermayr neben dem Ehrenbürger Rudi Schmitt und Bundesministerin a.D. Heidemarie Wieczorek-Zeul im Stadtverordnetensaal im Namen der Stadt herzlich begrüßte.

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Nein! Der Nationalsozialismus ist keine Erscheinung, die sich mit der Machtergreifung Hitlers zwischen 1933 und 1945 nach und nach vom Süden Deutschlands bis in den hohen Norden ausbreitete. Erste Anzeichen dafür gab es in Wiesbaden bereits 1926. Mit der Aufhebung des Verbots für nationalsozialistische Organisationen im Rheinland, gründete sich in der Gaststätte „Wies“ in der Rheinstraße am 10. Juni 1926 eine SA-Gruppe. Karl Ludwig, Theo Krameyer, Walter Becker, Hermann Leissner und Kurt Pfeil bildeten den Kern der Gruppe, so Dr. Jacob Berg von der University of New England, der am Montagabend, 30. Januar, zum Gedenktag im Stadtverordnetensaal einen detaillierten Blick auf die dunkelste Geschichte der Landeshauptstadt geworfen hat.

Der Historiker führte aus, dass 1926, sieben Jahre vor der Machtergreifung Hitlers die SA in Wiesbaden nur eine kleine Gruppe gewesen sei. Aus ihr entstand im Rahme eines territorialen Protests die SA-Standarte 80. Durch das Tragen von quasi-militärischen Uniformen zeiget si und und um Wiesbaden Präsenz und protestierte überall gegen die herrschende Ordnung.

Für die einen war die Anwesenheit der SA willkommen und wurde gefeiert, für die anderen bedeutete sie Angst, Terror und Gewalt.

Zum Beginn der NS-Bewegung war die SA-Gruppe wöchentlich auf in Wiesbaden und Umgebung unterwegs. Auf öffentliche Plätzen verkauften sie die örtliche NS-Zeitung, den Nassauer Beobachter. Schnell erweiterten die Mitglieder um Karl Ludwig den Kreis, wo man öffentlich sichtbar war. Am 6. November 1927 reiste die Gruppe im Rahmen ihrer territorialen Strategie zu einem Propagandamarsch nach Gelnhausen. Regelmäßiger war sie in Erbenheim (5 km), Wallau (12 km), Niedernhausen (15 km), Naurod (10 km), Rambach (7 km) und Sonnenberg (4 km) aktiv.

„Die höchsten politischen Ziele erfordern nicht nur den Geist eines Volkes, sondern auch seine Kraft[…], weil der Marxismus versucht, den Geist auf der Straße zu töten, muss er auf der Straße geschlagen werden. Weil der Terror das Hauptinstrument des marxistischen Kampfes ist, darf man sich nicht mit dummen bürgerlichen Beamtenphrasen in den Salon zurückziehen oder auf die Hilfe des Staates hoffen, sondern muss ihm mutig entgegentreten“ – Heinrich Hoffmann, Das Braune Heer, 1932, s.viii

Auch in Wiesbaden verfolgte die SA verfolgte das Ziel, die Straße gewaltsam zu besetzen. Regelmäßig traf sich die Gruppe zum Propagandamärschen durch die Stadt. In ihren Uniformen und in Reih und Glied hinter zwei großen Hakenkreuzfahnen paradierend, ließ die SA keinen Zweifel daran, wer die Straße sinnbildlich beherrschte.SA-Aufmärsche wurden nicht wie Zeitungen oder andere Formen politischer Propaganda gelesen, sondern erlebt. Immerzu trillerte die SA Emotionen durch ihre visuelle Präsenz, durch die militärisch anmutende Marschlieder mit provokantem Texten.

„Das braune Kampfbataillon,es duldet keine Sklaverei[…]Wir fürchten nicht den Tod und die Prohibition,wir kämpfen für Freiheit und Brot[…] Zieht das Braunhemd an!  Das Bataillon formiert sich,die kämpfenden Massen drängen sich,das Hakenkreuz voran.“ – ‘Lieder der Wiesbadener SA, SS und HJ’

Obwohl sich die SA in erster Linie als Infanteristen definierte, fehlte es ihr nicht an anderen Transport- und Präsentationsmitteln. Mit Lastkraftwagen fuhr die SA regelmäßig in ländliche Regionen um auch dort ihre Ideologie zu verbreiten. Das belegen verschiedene Bilddokumente, wie das aus dem Jahr 1929, welches Mitglieder der SA-Standarte80 auf einer Propagandafahrt nach Singhofen zeigt: SA-Männern aus Wiesbaden auf einem überfüllten Lastwagen. Die SA-Männer stehen hinter der Hakenkreuzfahne, die hoch auf den Fahrzeugen angebracht ist.

Am 15. März 1931 nahmen Mitglieder der Wiesbadener Sturmgruppen an einer Propagandafahrt mit 9 Lastkraftwagen durch den Rheingau teil.

In Wiesbaden lebten 1925 etwa 3000 Jüdinnen und Juden, die etwa 3 Prozent der Bevölkerung ausmachten. Ein Drittel von ihnen stammte aus Osteuropa und besaß nicht die deutsche Staatsangehörigkeit. Mit der Gründung der ersten SA-Gruppe sind von 1926 an die ersten antisemitische Aktivitäten in der Stadt festzustellen. Am 12. Januar 1927 hatten die Wiesbadener Nationalsozialisten eine Wahlversammlung einberufen. Berichten zufolge zog diese etwa 500 Besucher an. Am Eingang war ein Plakat mit der Aufschrift Juden verboten angebracht. Die SA-Gruppe stellte den Saalschutz und sorgte dafür, das keine  Juden an der Versammlung teilnehmen konnten. Jüdischen Frontkämpferbünde empfanden dass als Afront, weshalb sie sich an die Polizei wandten um Einlass zu bitten. Der Versammlungsleiter erteilte ihnen die Erlaubnis unter der Bedingung, dass sie keine Störung verursachen sollten. Die Veranstaltung endete in einer Schlägerei.

Das Ereignis führte zu einem einjährigen Verbot der NSDAP-Ortsgruppe in Wiesbaden.

Nach der Niederlage der Nationalsozialisten bei den Kommunalwahlen in Wiesbaden im Januar 1927 beteiligten sich Mitglieder der Wiesbadener SA-Gruppe an einer brutalen Kampagne, die als Schlacht von Nastätten“ bekannt wurde. Am 6. März 1927 griff die Wiesbadener SA mit Knüppeln, Stahldraht und Gummiknüppeln bewaffnet zusammen mit Gruppen aus Mainz und Frankfurt eine Aufklärungsveranstaltung an, die von einem jüdischen Landwirt initiiert worden war und das wahre „Gesicht“ des Nationalsozialismus enthüllen sollte. Bei der darauf folgenden Schlägerei zwischen Versammlungsteilnehmern, SA-Männern und der Polizei wurde ein SA-Mann getötet und Dutzende von Personen schwer verletzt. Das Ereignis führte zu einem einjährigen Verbot der NSDAP-Ortsgruppe in Wiesbaden.

„Der Boden istmit Glasscherben, zerbrochenen Hockern und Tischbeinen übersät.“ – Tagebucheintrag

Schlägereien in Kneipen und Versammlungsräumen waren an der Tagesordnung. In Rambach nahmen Mitglieder des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold aus Wiesbaden, Rambach und Naurod an einer NS-Versammlung am 6. Mai 1930 teil. Die Wiesbadener SA berichtete, dass die Männer ihren Redner unterbrochen hätten. Es folgte eine Schlägerei, bei der Gläser und Aschenbecher durch den Saal geschleudert wurden. Die SA griff die Gruppe an, und angeblich war der Saal innerhalb von 3 Minuten wieder ruhig

Am nächsten Tag fand eine Versammlung in der Gemeinde Biebrich statt. Die Kommunisten hatten ihr Erscheinen zugesagt. Als die Versammlung endete, drängte sich eine große Gruppe von Kommunisten um die DSA-Gruppe, der in einem Lastkraftwagen vor dem Saal gewartet hatte. Ein KPD-Mitglied näherte sich dem Lastkraftwagen und riss die Wimpelkette ab. Dies löste eine Schlägerei aus, die die SA kommentierte, dass „jeder, den wir erwischten, eine schwere Strafe bekam. Ein Jahr später, am 3. Mai 1931, marschierte die SA-Gruppe in Dotzheim, als sie mit Kommunisten zusammenstieß, die mit Knüppeln auf ihn gewartet hatten. Als die Polizei eintraf, hatten SA und SS die Gruppe bereits auseinandergetrieben und marschierten trotz strenger polizeilicher Anordnungen in ein Gebiet, das sie Klein-Moskau nannten, um es zu erobern.

In NS-Druckschriften wurde die Eroberung roter Gebiete durch die SA verkündet.

Zu Beginn des Jahres 1933 nahm der Kampf zwischen den im Tagebuch stets als „Kommunisten“ bezeichneten Gruppen und den Nationalsozialisten um Raum eine besondere territoriale und räumliche Dimension an. In NS-Druckschriften wurde die Eroberung roter Gebiete durch die SA verkündet, die mit der realen Besetzung ganzer Viertel einherging. Am 8. Januar 1933 wurde die politische Lage im Tagebuch des Sturms 38 als ernster denn je beschrieben. Die Mitglieder des Sturms 38 waren zu 90 Prozent arbeitslos, so dass die SA in Wiesbaden Tag und Nacht in den Sturmgebieten auf Streife war.

Den Vortrag von Dr. Jacob Berg im Original finden Sie unter www.wiesbaden.de.

Foto oben ©2023 Volker Watschounek

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Mehr Informationen zu Dr. Jacob Berg finden Sie unter www.une.edu.au.

 

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