Entsetzen, Trauer und Hoffnung auf Frieden prägten den Gedenkabend in Wiesbaden, an dem Worte und Erinnerungen an die Opfer der Schoah, der Reichspogromnacht lebendig wurden.
Ich möchte, dass alle Menschen unabhängig von Religion, Herkunft oder Geschlecht frei und ohne Furcht leben können, ich möchte, dass Religionen und mit ihnen die Glaubensbilder Gesellschaften nicht spalten, sondern die Fähigkeit, dass wir glauben und hoffen können, uns eint, ich möchte, dass unsere nachwachsende Generation erkennt, zu was Menschen fähig sind, wenn sie im Rausch einer Ideologie, im Rausch der Massen ihren Verstand und ihr Herz verlieren, ich möchte, dass wir Menschen sind. Mit diesen eindringlichen Worten richtete sich Wiesbadens Stadtverordnetenvorsteher Dr. Gerhard Obermayr am Samstagabend an die rund 500 Wiesbadener, die an der Gedenkstätte Namentliches Gedenken zusammengekommen waren, um der Reichspogromnacht vor 86 Jahren zu gedenken. Der Abend begann mit bewegenden Worten. Wiesbadens Stadtverordnetenvorsteher ging in seiner Ansprache auch auf die antisemitischen Attacken von Freitagabend in Amsterdam ein. Entsetzen, Trauer und das Erinnern lagen spürbar in der Luft – ein Abend, der die tragischen Verluste der jüdischen Gemeinde wachrief und zugleich Hoffnung auf Verständnis und Frieden ausstrahlt.
Es geschah in Ohio
Besonders berührte die Geschichte der Familie Grosshut, einer sportlich und sozial engagierten Wiesbadener Familie, die 1933 nach Palästina emigrierte: vorgetragen vom Leistungskurs Geschichte der Carl-von-Ossietzky-Schule Wiesbaden. Friedrich Grosshut, damals ein junger Vermesser, erhielt nachdem er nach Israel emigrierte, die schockierende Nachricht, dass sein Vater in Deutschland infolge von Misshandlungen verstorben war. Diese schmerzliche Erfahrung prägte ihn tief, und er verarbeitete sie in einem der wenigen Dramen der Exilliteratur, das den bezeichnenden Titel Es geschah in Ohio trägt und die Machtergreifung Hitlers schildert.
Die Vergangenheit niemals vergessen
Am Gedenkabend schlossen sich außerdem Jugendliche des Jugendzentrums „Oz“ der Jüdischen Gemeinde Wiesbaden an. Sie entzündeten sechs Kerzen, um symbolisch an die sechs Millionen Opfer der Schoah zu erinnern. Die rituellen Worte des Kaddisch und die Rezitation des Psalms 23 von Dr. Martin Pam schufen eine Atmosphäre der Andacht und des Respekts. In dieser stillen, ehrfürchtigen Erinnerungsgemeinschaft zeigte sich das kollektive Versprechen, die Vergangenheit, die Reichspogromnacht niemals zu vergessen.
Rede von Stadtverordnetenvorsteher Dr. Gerhard Obermayr
Ich möchte, dass alle Menschen unabhängig von Religion, Herkunft oder Geschlecht frei und ohne Furcht leben können, ich möchte, dass Religionen und mit ihnen die Glaubensbilder Gesellschaften nicht spalten, sondern die Fähigkeit, dass wir glauben und hoffen können, uns eint, ich möchte, dass unsere nachwachsende Generation erkennt, zu was Menschen fähig sind, wenn sie im Rausch einer Ideologie, im Rausch der Massen ihren Verstand und ihr Herz verlieren, ich möchte, dass wir Menschen sind. Sehr geehrte Damen und Herren, … wir gedenken heute, am 9. November, an das, was in der Dunkelheit, in der Nacht auf den 10. November hier und anderswo in Deutschland geschah. Wir erinnern an die Pogrome, an die Verwüstungen, Zertrümmerungen, an die gewalttätigen Angriffe auf das Leben von Mitbürgern, die in dieser Stadt lebten (Familie Grosshut war eine von ihnen). Die dies erfuhren, weil sie jüdischen Glaubens waren. Diese Menschen wurden in aller Offenheit und vor aller Augen Opfer einer nationalsozialistischen Ideologie. Der Staat agierte im Gewand eines Mörders. Eine Hassrede Goebbels gegen das jüdische Volk legitimierte nicht nur die SA und die Anhänger der NSDAP, gegen Juden gewaltsam vorzugehen. Auch Schlägertruppen ohne Uniform inszenierten den sogenannten Volkszorn. Sie demolierten während der Novemberpogrome Schaufenster jüdischer Geschäfte, zündeten die hier stehende Synagoge am Michelsberg an, verprügelten Unschuldige, verwüsteten Wohnungen von Juden. Es wurde geplündert, Jüdinnen Opfer von Verwaltigung. Unschuldige und wehrlose Menschen, Kinder und ältere Menschen wurden ermordet. Die Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 markiert das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte. Nach den Nächten des staatlich organisierten Terrors gegen die jüdische Bevölkerung folgten Diskriminierung und Ausgrenzung, Verfolgung, Registrierung, Enteignung, Umsiedlung, Deportation, Zwangsarbeit und Ermordung. Der Rassenwahn, der auch hier seinen Ausgang nahm, gipfelte in dem Völkermord an sechs Millionen Juden.
Namentliches Gedenken
Vor den Opfern und ihren Angehörigen verneigen wir uns heute. Wir, die Landeshauptstadt Wiesbaden, tun dies in Demut, in Scham und es ist eine nicht endende Traurigkeit. Wir gedenken auch derer, die Zivilcourage zeigten, die Juden helfen wollten, die sich in den Weg gestellt haben, und die letztendlich ihren Mut und ihre Haltung mit den Leben bezahlt haben. Auch diese Mutigen haben ihren festen Platz in unserer Stadt. Eine Lichtinstallation im Rathaus macht dies deutlich. Und wir finden immer wieder neue Namen, die dort den Platz einnehmen. Sie sind das leuchtende immerwährende Beispiel für Mitmenschlichkeit, für Verantwortung, für Mut und für Selbstlosigkeit. Aber die vielen Namen, von denen wir hier umgeben sind, nennen die Opfer, deren Leben endete, weil eben nicht alle Menschen den Mut hatten, sich einem Regime der Kälte und Unmenschlichkeit in den Weg zu stellen. Uber 1.500 jüdische Bürger Wiesbadens, die den Weg in die Vernichtungslager antreten mussten, sind uns heute namentlich bekannt. Ihre Namen sind hier, an der Wand der Gedenkstätte, dauerhaft angebracht. Im letzten Jahr konnten durch die verdienstvolle Recherche der Jüdischen Gemeinde, des Aktiven Museums und des Stadtarchivs 43 weitere Namen ergänzt werden. Die Forschung hört nicht auf, niemand soll ins Vergessen geraten. Die Landeshauptstadt Wiesbaden möchte damit ein Zeichen setzen, dass jeder von ihnen, einen Namen, eine Geschichte, einen eigenen Leidensweg auf sich nahm, der erst im Tod eine Erlösung fand. In den Monaten nach den Pogromen gab es mehrere Deportationen. Von den einstmals fast 3.000 hiesigen Juden kehrte 1945 nur etwa ein Dutzend Überlebender des Holocausts nach Wiesbaden zurück. Wenn wir heute hier zusammenstehen, dann erinnern wir nicht nur an die Opfer, sondern wir füllen diesen Platz der einstigen jüdischen Synagoge mit Leben. Wir betreten für einen Moment ein Gotteshaus, wir nehmen teil am gemeinsamen Gebet, wir fühlen uns verbunden.
Eine Bedrohung, die bleibt
Der 7. Oktober 2023 hat uns hier in Wiesbaden, aber auch der ganzen Welt vor Augen geführt, dass jüdisches Leben nicht frei, sondern bedroht ist. Der brutale Überfall der Hamas-Terroristen auf Israel war nicht nur ein Angriff auf die Existenz des jüdischen Staates, sondern hatte auch massive Auswirkungen auf jüdische Bürger bei uns in Deutschland. Für sie wurde Antisemitismus noch mehr zur realen Bedrohung, als er es ohnehin schon immer war. Die Angst vor Anfeindungen und Gewalt ist gewachsen, So registriert die hessische Kriminalstatistik des vergangenen Jahres insgesamt 347 Delikte, die Antisemitismus zum Hintergrund haben. Mehr als die Hälfte ereignete sich nach dem 7. Oktober. Gleiches gilt für das gesamte Bundesgebiet. Die Meldestelle für antisemitische Vorfälle. Und spätestens seit gestern Abend, dem schwarzen Abend von Amsterdam nach dem Fußballspiel von Ajax Amsterdam und Maccabi Tel Aviv ist es traurige Gewissheit, dass die antisemtische Gewalt zur realen Gefahr geworden ist. Das war dort geschehen ist, ist kein Protest, das ist auch kein Kräftemessen von Fußballchaoten, das was wir wissen, war ein Verbrechen in Form feiger Gewalt gegen Juden.
Schwarze Nacht von Amsterdam
Ja, das militärische Vorgehen auf die Hamas-Terroristen im Süden, die Hisbollah-Kämpfer im Norden und andere Gegner haben zu viele Opfer, unter ihnen Frauen und Kinder, auf ziviler Seite gefordert, sowohl in Gaza als auch im Libanon. Und die Trauer, die Ohnmacht derer, die hierdurch ihre Landsleute für immer verloren haben, geht uns alle an. Aber der Aufruf zur Gewalt gegen Juden, die Zerstörung und die Angriffe auf Israel, und die dadurch ausgelöste Gegenwehr darf nicht dazu führen, dass jüdisches Leben in unserer Stadt, in Deutschland aber auch in Europa akut gefährdet ist. Es muss doch aufschrecken, dass die Synagoge in der Friedrichstraße vom Staat massiv geschützt werden muss, dass Anfeindungen an Hochschulen und Universitäten hingenommen werden, dass junge Menschen jüdischen Glaubens erwägen, das Land zu verlassen. Die schwarze Nacht von Amsterdam markiert eine neue Eskalationsstufe. Sie führt uns vor Augen, dass Terroristen, Symphatisanten, Chaoten und Schlägertrupps keinerlei Hemmungen haben, an historische Vorgänge anzuknüpfen. Daher bitte ich Sie, in unser Gedenken am heutigen Abend auch die Menschen aufzunehmen, die am gestrigen Abend in Amsterdam Opfer von Angriffen, die um ihr Leben und ihre körperliche Unversehrtheit bangten. Im Gegensatz zu der Nacht vor 86 Jahren stehen der Staat und die kommunalen Institutionen auf der Seite der Grundrechte. Der Bürgermeisterin von Amsterdam, die gestern klare Worte fand, und den Bewohnern der doch als Weltoffen und Toleranten geltenden Grachtenstadt spreche ich unsere Anteilnahme aus. Ja, es ist eine Schande, dass Menschen zu solchen Handlungen in der Lage sind. Ihr Tun ist feige, perfide und menschenverachtend.
Zivilcourage als Pflicht
Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Aber: Haben wir aus der Geschichte wirklich gelernt? Schauen wir nicht doch zu häufig weg. Oder sagen: Was habe ich damit zu tun? Ich kann doch sowieso nichts tun. Doch, wir können einiges tun. Diese Lage und diese Entwicklungen in unserer Gesellschaft erfordern Haltung. Von jedem Einzelnen. Denn: Jüdisches Leben in Deutschland und die Religionsfreiheit von Juden sind so stark gefährdet, – wie noch nie seit Gründung der Bundesrepublik. Daher bitte ich Sie, in unser Gedenken am heutigen Abend auch die Menschen aufzunehmen, die am gestrigen Abend in Amsterdam Opfer von Angriffen, die um ihr Leben und ihre körperliche Unversehrtheit bangten. Den Davidstern oder die Kippa zu tragen, traut sich kaum noch jemand. Mancher fürchtet, sich wieder verstecken zu müssen. Aufgrund von Sicherheitsbedenken haben Jüdische Gemeinden Veranstaltungen abgesagt. Zeitungsmeldungen zufolge hat die Israelitische Kultusgemeinde München darum gebeten, die Jüdische Allgemeine in einem neutralen Umschlag an ihre Mitglieder zuzustellen. So macht man sich also unsichtbar – aus Angst. Amsterdam gab es bereits, nur nicht so offen. Was nach dem 7. Oktober 2023 an Hass und Gewalt gegen Juden hochkochte, ist eine Schande. Es geht hier um einen Angriff auf uns alle. Antisemitismus, ob islamistisch, rechtsextrem oder linksradikal, ist immer auch ein Angriff auf unsere offene Gesellschaft, auf unseren Rechtsstaat und unsere fundamentalen Werte.
Hassparolen, Aufrufe zur Gewalt sind kein Ausdruck von Meinungsfreiheit
Die Trauer über die Opfer auf palästinensischer Seite und die Kritik an der Politik Israels dürfen nicht ein Vehikel für Judenhass sein. Die Meinungs- und Versammlungsfreiheit ist in unserem Land ein hohes Gut. Es ermöglicht den Diskurs einer freien Gesellschaft und prägt politische Kontroversen. Nationalistische Hassparolen, Aufrufe zur Gewalt, zur Vernichtung und zu Vertreibungen sind jedoch nicht von der Meinungsfreiheit geschützt. Terroristische Akte sind vom Kriegsrecht nicht gedeckt. Terror auf Kinder, Frauen, ältere Menschen, Verschleppungen, Vergewaltigungen, Exekutionen haben in einer Welt des 21. Jahrhunderts keinen Platz. Eine Täter-Opfer-Umkehr, ein „Ja-Aber“ darf es nicht geben. Es waren Hamas-Terroristen, die Israel überfallen haben und unschuldige Menschen verschleppt, misshandelt und getötet haben. Auch ein Jahr danach leben viele Familien in Ungewissheit über den Verbleib der Verschleppten. Ihnen, den Opfern des 7. Oktobers gilt unsere Solidarität und auch unser Gedenken am heutigen Tag. Ich bin dankbar, dass auf dem Schlossplatz am 7. Oktober dieses Jahres eine Kundgebung stattfand, mit der sich die Teilnehmer klar an die Seite Israels gestellt haben. Sie haben ihr Mitgefühl mit den Opfern des Terrorangriffs und deren Angehörigen ausgedrückt. Das war ein wichtiges Zeichen aus der Stadtgesellschaft heraus. Und ich hoffe, dass es immer mehr werden, die aufstehen, die sich zeigen und ihr Schweigen brechen – und das nicht nur bei derartigen Gedenkveranstaltungen, sondern immer dort, wo es im Alltag nötig ist.
Ich akzeptiere das nicht
Zivilcourage zu zeigen ist nicht immer schwer. Es kostet manchmal nur ein ich akzeptiere das nicht. Und: Mit Zivilcourage, mit einer Haltung, machen Sie sich nicht zum Feind. Sie machen sich nur bemerkbar, als Mensch mit Werten. Und: Dass ein souveräner Staat seine Existenz sichert, ist das legitime Recht. Die Bundesregierung hat klar zum Ausdruck gebracht, dass das Existenzrecht Israel niemals angezweifelt werden darf. Kritik an der Kriegsführung ist erforderlich, wenn Zivilisten sterben. Aber die Ohnmacht und Wut in Palästina und im Gaza streifen, darf nicht dazu führen, dass Menschen hier in Europa durch die Straßen getrieben werden. Wenn dem so wäre, hätten die Terroristen ihr Ziel erreicht. Und das dürfen wir nicht zulassen. Gleichwohl müssen erkennen, dass auch in deutschen Parlamenten der Ungeist der Nazizeit keineswegs verschwunden ist. Hetze gegen Fremde, Geflüchtete oder Vertriebene, Menschen anderer Religionen, Sitten und Bräuche, Hautfarbe oder Herkunftsländer sind auf den Straßen und in den sozialen Medien immer mehr zu finden. Und auch die jüngsten Wahlergebnisse zeigen, dass der Personenkult um vermeintlich starke Anführer nicht überwunden ist. Im Gegenteil.
Antisemitismus ungeschminkt
Nationalisten, Extremisten, Menschenrechtsbrecher geraten verstärkt in politische Positionen oder halten sich an der Macht. Ideologien geben geistigen Haltung und zugleich, als hätte es die grausame Nazizeit und die Toten in den Kriegen nicht gegeben. Die Politik verkommt zum Entertainment, Fakenews werden zum Spektakel. All das lenkt ab von den wirklich wichtigen politischen Fragen. Und es funktioniert. So greifen gegenwärtig nationalistisch geprägtes Gedankengut und Narrative immer weiter um sich. Die Chaoten in Amsterdam und die Elblandrevolte, eine Keimzelle rechter Gewalt in Dresden sind erschreckende Beispiele, wie sich der Nationalismus bzw. der Antisemitismus ungeschminkt auf Straßen zeigt. Rechte Gewalt, Gewalt gegen Juden versteckt sich nicht, sondern zeigt sich offen, ungehemmt und unverschämt. Autoritäres, rassistisches und antisemitisches Denken ist nicht mehr auf Stammtische und Wohnzimmer beschränkt, sondern schaukelt sich in den Echokammern des Internets auf subtile Weise hoch. Unser Staat ist verpflichtet, jüdisches Leben zu schützen und jedem einzelnen Menschen jüdischen Glaubens das offene Bekenntnis seiner Religion zu ermöglichen. Unsere Demokratie gilt es zu schützen und damit die Menschen, die unsere Demokratie am Laufen halten. Nur dann ist gewährleistet, dass Progrome nicht mehr durchführbar sind. Dass dies gelingt, dass wir in Sicherheit und in Freiheit diese Veranstaltung durchführen können, dafür ist ein funktionierender Rechtsstaat die notwendige Voraussetzung.
Die Zivilgesellschaft ist gefordert
Schauen Sie sich um – diese Gedenkstunde ist offenbar nur möglich, weil ein großes Aufgebot von Polizei und Ordnungskräften sie sichern. Ihnen gilt unser Dank – aber es ist doch bedrückend, dass Juden, aber auch wir alle Schutz benötigen, um unser Gedenken hier gemeinsam zu begehen. Staatliche Machtmittel sind wichtig, reichen aber nicht aus. Die Zivilgesellschaft ist gefordert, also wir alle. Es ist von größter Bedeutung, dass die Gesellschaft als Ganze zusammensteht und sich aktiv gegen jede Form von Hass und Diskriminierung wendet. Nur durch gemeinsame Anstrengungen und das Engagement jedes Einzelnen können wir eine tolerante Gesellschaft bleiben. Gerade das Schweigen der Vielen, der Mehrheitsgesellschaft, muss gebrochen werden. Es darf von Antisemiten nicht als Bestätigung verstanden werden, Hass und Hetze immer ungehemmter zu verbreiten. Unser „Nie wieder“ muss viel lauter werden.
Die Sensibilisierung junger Menschen für die Themen Antisemitismus und Rechtsextremismus ist deshalb eine äußerst wichtige Aufgabe. Die Schulen sind hier gefordert, durch eine verstärkte politische Bildung nicht nur Wissen zu vermitteln, sondern auch kritisches Denken und Empathie zu fördern. Gerade die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus darf nicht von anderen Themen aus den Lehrplänen verdrängt werden. Nichts ist wichtiger. Die Geschehnisse von damals müssen vorrangiger Gegenstand des Unterrichts bleiben, damit eine reflektierte Aufarbeitung unserer Geschichte den jungen Menschen ermöglicht, aktuelle Entwicklungen kritisch zu hinterfragen, Zusammenhänge zu erkennen, Warnsignale wahrzunehmen und letztlich unsere freiheitlich-demokratische Gesellschaft zu stützen. Es geht nicht an, dass manche Lehrer aus Unwissenheit oder aus schlichter Überforderung vor Antisemitismus und Rechtsradikalismus in den Klassen kapitulieren. Angst vor Konflikten ist der schlechteste Ratgeber. Darüber hinaus ist es wichtig, dass Jugendliche lernen, Medienkompetenz zu entwickeln, um Desinformation und rechtsextreme Propaganda in sozialen Netzwerken zu erkennen. Denn das Internet bietet extremen Linken wie Rechten jene Plattform, die der Staat nur schwer kontrollieren kann. Die dortige Hetze gegen Israel ist mittlerweile nicht mehr zu ertragen. Umso mehr appelliere ich an die Schulen und die Kolleginnen und Kollegen Lehrkräfte, Haltung zu zeigen. Antisemitische Äußerungen sind Grenzüberschreitungen, und diese Grenze ist jungen Menschen bewusst zu machen. Wer Vorbehalte gegen Juden äußert, wer Vorurteile schürt und oder diesen nicht entschlossen begegnet, macht sich mitverantwortlich für eine Entwicklung, die wir nicht dulden dürfen.
Wir tun alles
(an die Jüdische Gemeinde gerichtet) Sehr geehrter Herr Dr. Gutmark, sehr geehrter Herr Landau: Danke, für Ihre geleistete Arbeit im Interesse der Verständigung. Ich versichere Ihnen: Wir stehen immer an Ihrer Seite. Wir teilen die Trauer der Mitglieder der Jüdischen Gemeinde um ihre Angehörigen und Freunde. Und wir wollen alles tun, was in unserer Macht steht, dass sie sich hier in Wiesbaden zu Hause wohl und sicher fühlen. Die Stadtverordnetenversammlung hat hierfür die Grundlage geschaffen. Die Brände des November 1938 und das mörderische Wirken des nationalsozialistischen Terrors haben es nicht vermocht, das jüdische Leben ganz auszulöschen. Auch den Rechtsextremisten in unserem Land, und auch den Terroristen des 7. Oktober und ihren Sympathisanten darf das nicht gelingen. Lassen Sie uns Menschen sein.
Mit den Worten Wir verneigen uns in Demut vor den Opfern, vor denen, die der Shoah entkommen konnten, und vor all ihren Nachkommen, kam der Stadtverordnetenvorsteher zum Ende. Shalom.
Foto oben ©2023 Volker. Watschounek
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Weitere Informationen zur Reichspogromnacht finden Sie auf den Internetseiten der Landeszentrale für politische Bildung unter www.lpb-bw.de.