Furtwängler sprach beim Museumsjubiläum über Wandel, Wissenschaft und Würde – eindringlich, persönlich, politisch. Ihre Worte trafen mitten ins Heute.
Ein Jubiläum wie dieses lädt ein zum Feiern, aber auch zum Innehalten. 200 Jahre Museum Wiesbaden – das bedeutet zwei Jahrhunderte Sammeln, Forschen, Vermitteln. Doch der Festakt im Hessischen Staatstheater war mehr als eine feierliche Rückschau. Es wurde ein vielstimmiger Dialog über Herkunft und Zukunft, über bürgerschaftliche Kraft und kulturelle Verantwortung. Und über Wandel – nicht zuletzt durch die bewegende Festrede von Dr. Maria Furtwängler.
Die Schauspielerin, Ärztin und Stifterin der MaLisa-Stiftung begeisterte mit einem leidenschaftlichen Plädoyer für Biodiversität, Gleichberechtigung und gesellschaftliche Wachheit. Ihre Rede war der Höhepunkt eines Abends, der mit jedem Redebeitrag neue Facetten des Museums sichtbar machte, – als Ort der Gemeinschaft, des Nachdenkens und der Zukunftsfragen.
Ein Fest beginnt mit vielen Stimmen
Bereits die Eröffnung durch die Intendantinnen des Hessischen Staatstheaters, Dorothea Hartmann und Beate Heine, unterstrich den besonderen Geist des Abends. Die beiden Gastgeberinnen erinnerten daran, wie eng Theater und Museum miteinander verwoben seien – als Orte des Sammelns, Bewahrens, Fragens. Hartmann sprach vom Museum als Raum für Dialoge zwischen Kunst, Natur und Mensch und formulierte den Wunsch, dass es ein inspirierender Ort bleibe, offen und gesellschaftlich verankert.
Es folgte Astrid Wallmann, Präsidentin des Hessischen Landtags. Sie rückte die bürgerschaftliche Entstehung des Hauses in den Vordergrund. Wallmann erinnerte an Goethe als geistigen Initiator und an das Engagement dreier Vereine, die im 19. Jahrhundert die Grundsteine für das Museum legten. Ihre Worte zeichneten ein Bild des Museums als demokratisches Projekt – gewachsen aus dem Wunsch nach Teilhabe, Bildung und Selbstermächtigung.
Staatssekretär Christoph Degen vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst betonte danach die Strahlkraft der Sammlung. Er hob das Haus als „kleinste, aber sichtbarste Institution“ im hessischen Mandantenkreis, so nenne man Einrichtungen wie das Museum, hervor. Er erinnerte an die internationale Bedeutung der Alexej von Jawlensky-Sammlung sowie die Jugendarbeit des Hauses. Bildung und Vermittlung, so Degen, seien hier nicht bloß Schlagworte, sondern gelebte Praxis – von Kindergeburtstagen bis Lehrerfortbildungen.
Ein Haus wächst mit seiner Stadt
Wiesbadens Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende dankte dem Museumsteam mit großer Wärme. Er zeichnete die gewachsene Verbindung zwischen Stadt und Museum nach – vom Jawlensky-Pfad bis zur Kooperation mit dem Staatstheater. Mende erinnerte an Meilensteine wie das „Jahr des Wassers“. Er hib hervor, wie tief das Haus in der Stadtgesellschaft verankert sei. Ein Museum ist dann lebendig, wenn Menschen sich in ihm wiederfinden“, sagte er. Alles ehrliche Worte, – und dann verlieh er dem Museum Wiesbaden die goldene Stadtplakette mit vier Zirkonia.

Auch Museumsdirektor Dr. Andreas Henning sprach – gewohnt pointiert – über Wandel, Bildung und Teilhabe. Er dankte dem Team, erinnerte an große Mäzene, nannte Namen, die sonst oft im Verborgenen wirken. Besonders betonte er die Rolle der jungen Generation und der zahlreichen Förderer, ohne die das Programm zum Jubiläumsjahr nicht möglich wäre. Ein Haus, so seine Botschaft, sei immer auch das, was die Menschen aus ihm machten.
Furtwänglers Festrede: Zwischen Raupe und Resilienz
Dann trat sie ans Rednerpult: Dr. Maria Furtwängler. Sie lächelte, zögerte kurz – und entfaltete dann eine Rede, die Wissenschaft, Poesie und Politik mühelos verband. Sie begann persönlich, erzählte von ihrer Großmutter, die in Wiesbaden geboren wurde. Und sie führte ins Herz ihrer Erzählung: Maria Sibylla Merian. Die barocke Naturforscherin, die als Frau des 17. Jahrhunderts gegen Aberglauben, Misogynie und Unwissenheit kämpfte – und dabei Schönheit, Präzision und Erkenntnis vereinte.
Furtwängler schilderte Merians Reise nach Surinam, ihr lebensgefährliches Streben nach Erkenntnis, ihre Forschungen zur Metamorphose von Insekten. Die Rednerin erklärte biologische Prozesse, sprach über Raupen, die sich auflösen, um als Schmetterling zu schlüpfen. Metamorphose, sagte sie, ist nicht bloß ein Naturphänomen. Sie ist ein Sinnbild für unsere Zeit.
Mit der Eleganz der Ärztin und dem Instinkt der Erzählerin leitete sie über zum Insektensterben, zur Klima- und Biodiversitätskrise, zum Verlust funktionierender Ökosysteme. Sie erinnerte an leergebliebene Stromleitungen ohne Schwalben, an verschwundene Schmetterlinge. Ihre Worte blieben nicht bei der Ökologie stehen – sie griffen ins Politische. Furtwängler sprach offen von Versäumnissen konservativer Kräfte, forderte ein Umdenken. Sie plädierte für ein neues Verständnis von Konservare“ – im Sinne des Bewahrens der Schöpfung.
Biodiversität ist Gleichberechtigung
Furtwängler sprach nicht nur über Natur, sie sprach über Macht. Über Frauen, die häufiger an das Gemeinwohl denken. Über Gleichstellung in der Wissenschaft, über Publikationslücken und strukturelle Nachteile. Und sie stellte den neuen Maria-Sibylla-Merian-Preis vor – eine Auszeichnung für junge Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen, gestiftet vom Museum Wiesbaden und der Alfred-Weigel-Stiftung.
Ihre Botschaft war klar: Wandel braucht Wissen, und Wissen braucht Gerechtigkeit. Die Natur sei nicht links oder grün, sondern grundlegend. Wer sie zerstöre, riskiere seine eigene Lebensgrundlage. Und wer sie bewahre, schütze nicht nur Käfer und Kröten – sondern unsere Gesellschaft als Ganze.
Ein Abend, der weiterwirkt
Als der Applaus einsetzte, spürte man es: Diese Rede hatte getroffen. In ihrer Klarheit, ihrer Zärtlichkeit, ihrem Zorn. Maria Furtwängler hatte den Abend in eine andere Tonlage gehoben – von der Feier zur Verantwortung, von der Erinnerung zur Zukunft. Und sie hatte gezeigt, wie sehr Kunst, Wissenschaft und Haltung zusammengehören.

Das Museum Wiesbaden hat mit diesem Festakt nicht nur sein 200-jähriges Bestehen gewürdigt. Es hat ein Versprechen formuliert: wach zu bleiben, offen zu bleiben, weiterzugehen: so wie auch danach beim Empfang im Museum.
Foto – Dr. Maria Furtwängler bei ihrer Festrede ©2025 Volker Watschounek
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