Ingo von Seemen kandidiert für Wiesbadens Oberbürgermeisteramt, setzt auf soziale Gerechtigkeit und will gegen die wachsende Stadtspaltung kämpfen.
Am 4. März wird Wiesbaden entscheiden, wer künftig das Ruder der Stadt übernimmt. Unter den zehn Kandidaten für das Amt des Oberbürgermeisters ist auch Ingo von Seemen, der für die Linke ins Rennen geht. Mit klaren Positionen und einer tief verwurzelten Überzeugung für soziale Gerechtigkeit strebt er an, die Stadt in eine neue Richtung zu lenken. Besonders dringlich erscheint ihm die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum, die Bekämpfung von Armut und die Verteidigung von Naturflächen, wie dem Ostfeld, gegen übermäßige Bebauung. Wir haben mit dem Kandidaten der Partei Die Linken. gesprochen und ihm auf den Zahn gefühlt.
Interview mit Ingo von Seemen
Herr von Seemen, was hat Sie dazu bewogen, als Oberbürgermeisterkandidat für Wiesbaden anzutreten?
Ingo von Seemen: Bereits meine Großeltern waren Gewerkschafter. Mütterlicherseits waren Oma und Opa Köche im Gewerkschaftshaus in Springen, väterlicherseits war mein Opa Gewerkschafter und Mitglied der SPD. Auch mein Vater ist Gewerkschafter und bis heute bei Ver.di aktiv. Mein älterer Bruder ist Gebäudereinigermeister und war Betriebsratsvorsitzender in seinem Betrieb.
Meinen Brüdern und mir wurde schon von klein auf vermittelt, dass unsere gute Situation nicht selbstverständlich ist. Das es anderen Menschen nicht so gut geht, und dass daran die ungerechten gesellschaftlichen Verhältnisse schuld sind und nicht der einzelne Mensch.
Gerechtigkeit war das Schlagwort meiner Jugend. Seit ich laufen kann, bin ich am 01. Mai auf der Straße. Der Kampf der Gewerkschaften für Gerechtigkeit und gegen Ausbeutung hat mich immer fasziniert. Bis heute glaube ich fest daran, dass die Grenzen nicht zwischen Nationen verlaufen, sondern zwischen Kapital und Arbeit.
Welche Erfahrungen und Qualifikationen bringen Sie mit, die Sie für dieses Amt besonders geeignet machen?
IvS: Fünf Jahre Opposition und nun drei Jahre Regierungsbeteiligung im Wiesbadener Stadtparlament sind eine gute Grundlage um das politische Wiesbaden zu kennen. Im Laufe meines Lebens war ich auf drei verschiedenen Schulen in und habe in fünf Stadtteilen gelebt. In meinen fünf Jahren als stellvertretender Stadtverordnetenvorsteher habe ich auch die restlichen 21 Stadtteile gut kennengelernt.
Was sind die drei wichtigsten Punkte in Ihrem Wahlprogramm?
IvS: Die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum, die Bekämpfung von Kinderarmut, und die Verteidigung des Naturraums Ostfeld.
Wohnraum & Stadtentwicklung
Sie kritisieren, dass neuer Wohnraum in Wiesbaden meist hochpreisig ist. Welche konkreten Maßnahmen würden Sie als Oberbürgermeister ergreifen, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen?
Um dauerhaft bezahlbaren Wohnraum zu gewährleisten muss die Stadt verhindern, dass Sozialbindungen auslaufen. Dazu muss sie selbst Wohnraum besitzen und die Bindungen nicht 10 oder 20 Jahre laufen lassen, sondern immer wieder verlängern.
Das Wiesbadener Linksbündnis hat einen Fond beschlossen, der Grund und Boden in städtisches Eigentum bringt und dortbehält. Mit 15 Mio. € pro Jahr kaufen wir Grundstücke und Wohnungen um sie sozialen Zwecken zuzuführen. Zusätzlich gibt es einen Mietendeckel bei der städtischen Wohnungsgesellschaft. Des Weiteren muss die Stadt alle Möglichkeiten nutzt um bereits bebaute Flächen besser zu nutzen. Durch Home-Office steht in Wiesbaden Bürofläche leer. Dieser sollte zu Wohnraum umgewandelt werden. Mehr als 2.000 Wohnungen stehen in Wiesbaden dauerhaft leer. Wir brauchen eine Erfassung des Leerstandes, ein Zweckentfremdungsverbot und als letztes Mittel müssen Wohnungen, die aus Profitgier nicht vermietet werden in öffentliches Eigentum überführt werden.
Soziale Gerechtigkeit & Armut
Sie sagen, Wiesbaden sei eine stark geteilte Stadt. Wie wollen Sie die soziale Spaltung verringern?
Die Landeshauptstadt Wiesbaden gibt eine regelmäßige Untersuchung der sozioökonomischen Lage der Stadtteile heraus. Dabei werden Stadtteile mit besonderen Bedürfnissen identifiziert. Das Linksbündnis hat begonnen diese Stadtteile mit mehr Sozialarbeit und dem gezielten Einsatz von Jugendzentren und weiteren niedrigschwelligen Angeboten zu unterstützen. Wir eröffnen dieses Jahr einen Gesundheitskiosk in Klarenthal, bauen ein neues Jugendzentrum auf dem Gräselberg und haben verstärkte Gemeinwesenarbeit in AKK und im Bergkirchenviertel beschlossen. Ein weiterer Schwerpunkt ist das Westend. Dazu kommen unsere kostenfreien Bildungs- und Sportangebote (Stadtbibliothek und kostenfreies Schwimmbad), sowie das WI-15 Ticket.
Sicherheit & gesellschaftlicher Wandel
Sie sagen: „Nicht Migranten sind das Problem, sondern Gewalt und das Patriarchat.“ Was genau meinen Sie damit?
Bereits jetzt wurden 2025 über 30 Personen Opfer von Gewalt durch (Ex)-Partner, oder enger Verwandter. 14 Frauen und drei Männer wurden getötet. Die Taten haben nichts mit dem Herkunftsland zu tun, viele der Täter sind Deutsche.
Das zeigt: Die veralteten Rollenbilder vom starken Mann und der hilfsbedürftigen Frau müssen weg. Es braucht eine echte Gleichberechtigung in allen Lebensbereichen. Wir brauchen mehr Gelder für Gewaltprävention, Frauenhäuser und Beratungsstellen. Wir brauchen mehr Sozialarbeit in Kitas, in Schulen und auf der Straße. Gewalt muss in allen Teilen der Gesellschaft geächtet werden.
Jugend & Bildung
Welche konkreten Pläne haben Sie für selbstverwaltete Jugendzentren in Wiesbaden?
In Wiesbaden muss eine neue Jugendbefragung durchgeführt werden. Anhand der Ergebnisse sollen Standorte für selbstverwaltete Jugendzentren identifiziert werden. Denn Jugend braucht Freiraum.
Wie wollen Sie sicherstellen, dass junge Menschen nach der Schule in Wiesbaden eine Zukunftsperspektive haben – sowohl in der Ausbildung als auch im Berufsleben?
Wiesbaden muss bezahlbaren Wohnraum anbieten. Des Weiteren brauchen wir ein starkes soziales Netz, welches jungen Menschen in kritischen Situationen Hilfe anbietet. Die Stadt selbst muss mehr Ausbilden und Ausbildungen attraktiver machen. Wir brauchen eine bessere personelle Ausstattung von Pflegeheimen, Kitas, der Verwaltung und vielen weiteren Bereichen.
Umwelt & Klimaschutz
Wie stehen Sie zu autofreien Zonen oder einer stärkeren Förderung des Radverkehrs?
In der Gerichtsstraße und der Wellritzstraße haben wir bereits mit großem Erfolg Fußgängerzonen etabliert. Diesen Weg werde ich, überall wo dies sinnvoll möglich ist, weitergehen. Der Radverkehr wird mit drei Millionen € pro Jahr gefördert. Diese Förderung hat bereits viele neue Verbindungen möglich gemacht. Mit den Radschnellwegen in die Nachbarstadt und in den Rheingau soll dies noch ausgeweitet werden.
Abschluss & Vision
Was wäre Ihre erste Amtshandlung als Oberbürgermeister?
Allen Kindern ein kostenfreies Essen in den Kitas und Schulen ermöglichen.
Wo sehen Sie Wiesbaden in zehn Jahren, wenn Sie gewählt werden?
Als sozialste Stadt der Bundesrepublik Deutschland. Möchten Sie abschließend noch eine Botschaft an die Bürgerinnen und Bürger richten? Ja, gehen sie wählen und wählen Sie nicht taktisch, sondern nach ihrer politischen Überzeugung.
Foto – Ingo von Seemen ©2025 Volker Watschounek