Die Zahl queerfeindlicher Übergriffe steigt – auch 2023. Was Betroffene erleben, warum viele Taten unsichtbar bleiben und was sich ändern müsste.
Der internationale Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie, kurz IDAHOBIT, ist kein Feiertag. Er ist ein Mahnmal. Jahr für Jahr erinnert er an die Entscheidung der WHO vom 17. Mai 1990, Homosexualität nicht länger als Krankheit zu werten. 35 Jahre später schlagen queere Organisationen in Deutschland Alarm: Die Sicherheit von LGBTQIA+-Menschen ist bedroht – im Alltag, in der Öffentlichkeit, im Gesetz.
Hasskriminalität steigt – und bleibt oft folgenlos
2023 wurden in Deutschland laut Bundesinnenministerium 1.499 Straftaten mit queerfeindlichem Hintergrund polizeilich erfasst. Davon 288 Gewalttaten – ein signifikanter Anstieg gegenüber dem Vorjahr. Viele Vorfälle schaffen es jedoch nicht in die Statistik. Die Dunkelziffer sei hoch, sagt Andre Lehmann vom Verband Queere Vielfalt gegenüber der Deutschen Presse Agentur. „Aus Angst, aus Scham oder weil die Polizei queerfeindliche Motive nicht als solche erkennt“.
Die Gewalt sei dabei nicht abstrakt. „Wir sehen Angriffe auf gleichgeschlechtliche Paare, Beschimpfungen in U-Bahnen, Übergriffe auf queere Bars, so Lehmann. Besonders drastisch: der gesellschaftliche Umgang. Es fehlt der Aufschrei. Queerfeindlichkeit wird wieder salonfähig.
Politik lässt Lücken – trotz Lippenbekenntnissen
Ein zentraler Kritikpunkt der Community: der fehlende Schutz im Grundgesetz. Während Artikel 3 Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Herkunft oder Religion untersagt, fehlt die explizite Nennung der sexuellen Identität. Für Betroffene bedeutet das: weniger Schutzraum, weniger Verbindlichkeit für Behörden.
Lehmann erinnert an die NS-Zeit, in der Homosexuelle systematisch verfolgt wurden. „Bis heute fehlt diese historische Kontinuität im Rechtsschutz.“ Zwar gibt es Initiativen zur Ergänzung des Grundgesetzes – doch sie stocken seit Jahren.
Was sich ändern müsste
Für Organisationen wie Queere Vielfalt sind drei Maßnahmen zentral: erstens die explizite Aufnahme der sexuellen Identität in Artikel 3 des Grundgesetzes. Zweitens eine bessere Schulung von Polizei und Justiz im Umgang mit queerfeindlichen Motiven. Und drittens eine konsequente Strafverfolgung – online wie offline.
Denn eines zeigt sich am Tag gegen Homophobie besonders deutlich: Es geht nicht um einzelne Taten. Es geht um ein Klima der Angst – und um die Frage, ob alle Menschen in Deutschland sicher und sichtbar leben dürfen. Beim Regenbogenempfang im Neuen Rathaus Wiesabden am Freitag keine Frage, sondern eine Selbstverständlichkeit.
Foto – Regenbogenempfang im Innenhof vom Rathaus @2025 Volker Watschounek
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