85 Jahre nach der Erschießung von Karl Bühler und Heinrich Ballreich erinnert Wiesbaden an die zwei Wehrdienstverweigerer.
Am frühen Morgen des 25. Juni 1940 richtet sich auf dem Schießplatz „Rheinblick“ bei Wiesbaden die Mündung eines Gewehrs auf zwei Männer. Karl Bühler, 31, und Heinrich Ballreich, 32, schweigen. Kein Aufschrei, kein Flehen. Sie verweigern das Töten – und werden getötet. Ihr Vergehen: der feste Entschluss, dem nationalsozialistischen Wehrdienst nicht zu folgen. Wehrdienstverweigerer, bestraf.
Der Weg ins Visier des Regimes
Die beiden Männer stammen aus Neulußheim bei Speyer. Seit 1932 besuchen sie regelmäßig die Gottesdienste der Zeugen Jehovas. Gemeinsam mit ihren Ehefrauen engagieren sie sich in der Bibelarbeit, lehnen jede Form von Gewalt ab, auch in Kriegszeiten. Nach der Machtergreifung 1933 wird die Religionsgemeinschaft verboten. Bühler und Ballreich ziehen sich nicht zurück – sie treffen sich weiterhin, zunächst im Verborgenen, dann im Untergrund. Die Gestapo überwacht die Gruppe in Speyer seit mindestens 1936. Die Ehepaare werden festgenommen, später vom Sondergericht Mannheim zu Gefängnisstrafen verurteilt. Erst nach zwei Jahren kehren sie in die Freiheit zurück.
Der Moment der Entscheidung
Im Frühjahr 1940 erhalten beide Männer den Einberufungsbefehl zum Wehrdienst. Sie reagieren prompt: schriftlich teilen sie dem Wehrmeldeamt mit, dass ihr christlicher Glaube den Dienst an der Waffe nicht zulasse. Töten widerspreche der Nächstenliebe, der Wehrdienst sei mit ihrem Gewissen nicht vereinbar. Nur einen Tag später werden sie verhaftet. Am 28. Mai 1940 verhandelt ein Kriegsgericht in Wiesbaden über ihr Schicksal. Frieda Bühler, Ehefrau von Karl, erinnert sich später an seine Worte im Saal: „Ich habe mit Jehova einen Bund geschlossen und diesem bleibe ich treu, solange Odem in mir ist.“ Das Gericht fällt ein eindeutiges Urteil: Tod durch Erschießen.
Die Exekution auf dem Freudenberg
Vier Wochen nach dem Urteil werden Karl Bühler und Heinrich Ballreich um fünf Uhr morgens auf dem Schießplatz „Rheinblick“ hingerichtet. Die Hinrichtung erfolgt ohne Öffentlichkeit, aber mit militärischer Präzision. Ihre Leichen werden auf dem Südfriedhof in Wiesbaden beigesetzt. Kein Grabstein, kein Kreuz, keine Inschrift erinnert zunächst an sie. Ihr Schicksal wird über Jahrzehnte hinweg weitgehend verschwiegen.
Neue Tafeln – neue Öffentlichkeit
Erst heute, 85 Jahre später, rückt das Gedenken an diese beiden Wehrdienstverweigerer wieder in den Fokus. Der Landesverband Hessen des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge hat in diesem Jahr zwei neue Informationstafeln an die Stadt Wiesbaden übergeben. Sie stehen nun auf dem Südfriedhof – als Teil einer umfassenden historischen Aufarbeitung. Auch Karl Bühler und Heinrich Ballreich sind darin sichtbar geworden. Die Tafeln stellen sie nicht als Helden dar, sondern als Menschen mit Haltung.
Erinnerung als Teil der Demokratie
Die Aufarbeitung solcher Einzelschicksale ist kein sentimentaler Akt. Sie erfüllt eine demokratische Funktion. Die Erinnerung an Kriegsdienstverweigerer wie Bühler und Ballreich beleuchtet das Spannungsfeld zwischen staatlicher Gewalt und individueller Gewissensentscheidung. In Zeiten, in denen autoritäres Denken erneut an Boden gewinnt, erhält ihr Verhalten neue Relevanz. Ihre Geschichte passt in keine Heldenerzählung – aber sie erzählt von Zivilcourage, innerer Freiheit und einem friedlichen Widerstand, der tödlich endete.
Archivfoto – Eingangsportal zum Südfriedhof ©2024 Volker Watschounek
Weitere Nachrichten aus dem Stadtteil Südost lesen Sie hier.
Die Todesstrafe: Fakten, Informationen und Hintergründe.
Mehr zum Thema Baustellen in der Stadt gibt es unter www.wiesbaden.de.