Es reicht nicht, bloß den Kopf zu senken und den Status quo zu ertragen. Antisemitismus auf deutschen Straßen und in sozialen Netzwerken ist nicht hinnehmbar.
Vor genau einem Jahr, am 7. Oktober 2023, riss ein brutaler Angriff der Terrororganisation Hamas den Staat Israel und die Welt aus den Fugen. Was passierte, war ein Massaker mit unvorstellbarem Ausmaß, das seine Spuren tief in die Wurzel Israels eingebrannt hat.Während die Bilder der brutalen Angriffe um die Welt gingen, bleiben viele Details im Dunkeln: Mehr als 200 Menschen wurden verschleppt, Geiseln in den Händen der Hamas. Ein Jahr später befinden sich immer noch über 100 von ihnen in Gefangenschaft – ihr Schicksal ist ungewiss, ihre Rückkehr ins Leben unsicher. Weltweit gedenken heute Menschen der Opfer des Terrors. In Wiesbaden, auf dem Schlossplatz, tragen Demonstranten Fotos und Namen der Geiseln – ein Mahnmal dafür, dass der Schrecken nicht endet. Für die Familien der Verschleppten bedeutet jeder Tag, der vergeht, ein weiteres Kapitel voller Angst, Ungewissheit und Hoffnungslosigkeit. Die Unsicherheit, ob sie ihre Angehörigen je wiedersehen werden, lähmt und verzehrt. Der 7. Oktober bleibt für sie nicht nur ein Datum – er ist eine Wunde, die jeden Tag aufs Neue schmerzt
Eine Zäsur für Juden weltweit
Der Terrorangriff auf Israel erschütterte die jüdische Gemeinschaft weltweit. Für viele Juden markiert das Datum eine Zäsur, wie sie diese seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr erlebt haben. Der brutale Angriff richtete sich gezielt gegen die Zivilbevölkerung – Frauen, Kinder, Greise, niemand bliebt verschont. Innerhalb weniger Stunden waren 1200 Menschenleben zerstört, und es dauerte nicht lange, bis sich die Nachrichten von den Gräueltaten weltweit verbreiteten. Die Bilder von Morden, Hinrichtungen und Entführungen entsetzten die Weltöffentlichkeit. Die Taten erinnern an dunkle Kapitel der jüdischen Geschichte, und der Schmerz sitzt tief. Juden weltweit sehen sich plötzlich mit einer erschreckenden Realität konfrontiert: Der Schutz, den Israel jahrzehntelang symbolisiert hatte, ist erschüttert. Die Sicherheit, die das Land immer versprochen hatte, scheint brüchig – und die Angst, die viele jüdische Familien kennen, kehrt zurück. Die jüdische Gemeinschaft ist seit diesem Tag verändert, die alte Wunde des Antisemitismus wieder aufgerissen.
Antisemitismus – Die unsichtbare Gefahr wächst
Hessens Landtagspräsidentin mahnte, dass der Terrorakt weltweit eine Welle des Antisemitismus entfache. Dass in vielen Ländern, auch in Deutschland, ein sprunghafter Anstieg judenfeindlicher Übergriffe zu verzeichnen sei. Deutschlands Antisemitismusbeauftragter Felix Klein präsentierte kürzlich beunruhigende Zahlen. Sie zeigen von einem Allzeithoch an antisemitischen Straftaten in. Die hessische Kriminalstatistik bestätige diese Entwicklung: Seit dem 7. Oktober 2023 sind antisemitische Vorfälle dramatisch angestiegen. Dabei geht es nicht nur um physische Gewalt, sondern auch um psychischen Druck. Viele Juden in Deutschland berichten, dass sie sich in der Öffentlichkeit nicht mehr sicher fühlen. Die Angst, aufgrund ihrer Religion angefeindet zu werden, ist allgegenwärtig. Kippas werden versteckt, jüdische Symbole bleiben zu Hause – eine bittere Realität, die für viele eine Rückkehr zu Zeiten bedeutet, die längst vergangen schienen.
„Nie wieder“ – Die Verantwortung Deutschlands
Wiesbadens Stadtverordnetenvorsteher Dr. Gerhard Obermayr betonte in seiner Rede die besondere Verantwortung Deutschlands gegenüber jüdischem Leben. Er erinnerte daran, dass die Geschichte mahnt und das Nie wieder jetzt Gültigkeit hat. Nach dem 7. Oktober seien die Worte dringlicher denn je. Der Stadtverordnetenvorsteher äußerte seine Empörung darüber, dass Juden in Deutschland wieder um ihre Sicherheit fürchten müssen – in einem Land, das sich aus den Trümmern der Vergangenheit geschworen hat, jüdisches Leben zu schützen. Er prangerte an, dass Menschen jüdischen Glaubens über eine Auswanderung nachdenken, weil sie sich hier nicht mehr sicher fühlen. Es darf nicht sein, dass Juden in Deutschland verstecken müssen, wer sie sind, so Obermayr. Er mahnte, dass die Zivilgesellschaft und die Politik jetzt gefordert seien, mit aller Entschlossenheit gegen den wiederauflebenden Antisemitismus vorzugehen.
Schulen, Universitäten, Netzwerke – Kein Raum für Hass
Antisemitismus ist heute nicht nur auf der Straße sichtbar, sondern auch an Orten, die Bildung und Toleranz fördern sollten. An deutschen Universitäten und Schulen häufen sich Berichte über judenfeindliche Parolen und Anfeindungen. Dr. Obermayr appellierte an Lehrkräfte und Verantwortliche, klare Haltung zu zeigen und keinen Raum für Hass zu lassen. Antisemitische Äußerungen seien Grenzüberschreitungen, die es entschieden zu bekämpfen gilt. Auch das Internet erweist sich als fruchtbarer Nährboden für Verschwörungsmythen und Hetze. Die Verbreitung von Falschinformationen und judenfeindlicher Propaganda nimmt zu. Das Netz ist ein Raum, den der Staat nur schwer kontrollieren kann, sagte Obermayr, doch gerade hier müsse mehr getan werden, um Hetze konsequent zu verfolgen und zu löschen.
Solidarität mit Israel – Eine Freundschaft, die verpflichtet
In Zeiten wie diesen ist Solidarität nicht nur ein Gefühl, sondern eine Pflicht. Deutschland steht in einer besonderen Beziehung zu Israel – eine Freundschaft, die aus den Lehren der Geschichte gewachsen ist. Doch es ist nicht nur die Vergangenheit, die diese Freundschaft prägt. Es ist auch die Erkenntnis, dass Israel, als Demokratie im Nahen Osten, einem ständigen Angriff ausgesetzt ist. Obermayr hob hervor, dass Israel nicht allein ist – weder im Kampf gegen den Terror noch in seinem Bemühen, Frieden zu schaffen. Die Weltgemeinschaft ist aufgerufen, das Massaker vom 7. Oktober klar zu verurteilen und Israel in seiner Selbstverteidigung zu unterstützen. Der Schutz jüdischen Lebens – in Israel und weltweit – ist ein Gebot der Stunde.
Wiesbaden steht an der Seite Israels
Der heutige Gedenktag soll nicht nur den Opfern des Terrors vom 7. Oktober 2023 gewidmet sein, sondern auch ein Zeichen der Solidarität setzen. Wir stehen an der Seite Israels, sagte Obermayr. In einer Welt, die zunehmend von Extremismus und Hass geprägt ist, bleibt es von größter Bedeutung, dass Städte wie Wiesbaden sich klar positionieren. Denn die Verteidigung von Freiheit und Toleranz beginnt nicht irgendwo, sondern hier – in unseren Städten, auf unseren Plätzen. Zum Abschluss seiner Rede rief Obermayr den Menschen jüdischen Glaubens in Wiesbaden zu: „Lasst euch nicht unterkriegen. Niemals!“
Unverhältnismäßig ist es, einen Krieg zu beginnen
Die jüdische Geschichte ist geprägt von Verlusten und Neuanfängen. Dr. Jacob Gutmark, Mitglied im Vorstand der Jüdischen Gemeinde in Wiesbaden, dankte zum Abschluss der Veranstaltung allen und erinnerte daran, dass das erste jüdische Staatswesen nach 900 Jahren zerstört und durch die Römer im Jahr 73 n. Chr. kurzerhand Judäa in Palästina umbenannt wurde. Seitdem wurde das Land über 14 Mal erobert. Doch das jüdische Erbe bleibt unzerstörbar, es ist tief verwurzelt im kulturellen Gedächtnis.
Foto – Astrid Wallmann im Festsaal des Wiesbadener Rathauses ©2024 Volker Watschounek
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