Ausgezeichnet. Die Arbeit wird belohnt. Der Wiesbadener Stadtwald ist mehr als grün: Er verbindet Klimaschutz, Artenvielfalt – und ist „Waldgebiet des Jahres 2025“.
Es ist mehr als eine Auszeichnung, eher ein Bekenntnis. Der Stadtwald Wiesbaden ist vom Bund Deutscher Forstleute (BDF) zum Waldgebiet des Jahres 2025 ernannt worden. Doch was steckt hinter diesem Titel? Nicht nur eine grüne Fläche – sondern ein Jahrhundertprojekt mit Haltung, Handwerk und Herzblut.
Daten und Fakten zum Stadtwald Wiesbaden
Fläche: 4.331 ha | Lage: Halbkreisförmig um Wiesbaden, von Frauenstein bis Breckenheim Baumbestand: 83 % Laubholz, 17 % Nadelholz (Tendenz abnehmend wegen Borkenkäferbefall) Verteilung (Stand 2016): 52,7 % Buche; 23,7 % Eiche; 6,2 % sonstige Laubhölzer; 11,1 % Fichte; 6,3 % Lärche und Kiefer
Dirk Schäfer, Bundesvorsitzender des BDF, staunte bei seinem Besuch nicht schlecht. Durch platanengesäumte Straßen ist er Hessens Landeshauptstadt gefahrenund hat sich vom historischen Charme verführen lassen. Deswegen war er aber nicht gekommen, – er wollte vor allem eines: den Wald sehen. Ein Schatz vor Ihrer Haustür, schwärmte er später, bei der Verleihung des Preises im Festsaal des Neuen Rathauses. Was Schäfer und seine Kollegen im Stadtwald erlebten, war nicht bloß Waldpflege – es war gelebte Zukunft.
Wald mit Auftrag
Seit Jahrzehnten verfolgt Wiesbaden ein ambitioniertes Ziel: Der Wald soll nicht nur Holz liefern, sondern auch Lebensraum, Schutzraum, Lernort und Erholungsfläche sein. Eine Art grüne Allzweckwaffe für eine Gesellschaft, die zunehmend begreift, wie elementar ihre natürlichen Grundlagen sind.
Schon 1987 verabschiedete die Stadt ein ökologisches Waldbauprogramm – mit einer klaren Abkehr vom Kahlschlag, hin zur naturnahen Einzelstammentnahme. Die Forstleute begannen, die Naturverjüngung zu fördern, verzichteten auf Pestizide und durchforsteten regelmäßig.
Im Takt der Zeit
Doch all das war nur der Auftakt. Denn spätestens seit den Sturmkatastrophen Vivian und Wiebke im Jahr 1990 und den darauf folgenden Dürrejahren rückte der Wald stärker ins Blickfeld. In der Stadt sah man ihn nicht mehr nur als Kulisse, sondern als Patient und Zukunftspartner zugleich. Die Forstabteilung unter Leitung von Sabine Rippelbeck reagierte: Sie entwickelte neue Konzepte, pflanzte klimaresiliente Baumarten, kümmerte sich um Totholz, Biotope, Urwaldreliktarten. 1999 wurde der Stadtwald als erster in Hessen nach Naturland- und FSC-Standards zertifiziert.
Nach und nach verwandelte sich der Wiesabdener Stadtwald in ein Ökosystem, das den Herausforderungen des Klimawandels standhält. Anders formuliert, zumindest trotzen kann. Verjüngung, Vielfalt, Widerstandskraft: Das sind heute die Leitmotive der Wiesbadener Forstwirtschaft. Und wer genau hinsieht, erkennt: Hier wächst nicht nur Wald, hier wächst Verantwortung.
Arten, die sonst keiner sieht
Die Liste der Erfolge ist lang – und oft unsichtbar. 28 sogenannte Urwaldreliktarten leben heute nachweislich im Stadtwald. 29 wären nötig für den Nationalparkstatus. Eine davon: der feuchte Blaue Wurzelhalsschnellkäfer. Ein Name wie aus der Naturlyrik, ein Wesen wie aus der Mikrobiologie. Winzig, unscheinbar – aber wertvoll. Denn wo er lebt, ist die Welt noch in Ordnung.
Veranstaltungen
In den nächsten Tagen wird im Veranstaltungskalender der Stadt ein ausführliches Veranstaltungsprogramm zum Stadtwald Wiesbaden veröffentlich. Der Höhepunkt des Veranstalungsreigen findet am 24. August im Dammbachtal statt, der Waldfamilientag. Ein breites Angebot für jung und alt gibt Einblick in die Forstarbeit sowie eine Erlebniswelt mit Mitmachaktionen.
Auch die Bechsteinfledermaus fühlt sich im Wiesbadener Wald zu Hause. Sie frisst ausschließlich Insekten, die auf alte Eichen spezialisiert sind. Verschwinden die Eichen, verschwindet auch sie. Der Stadtwald bietet ihr Schutz – dank alter Baumbestände, gezielter Pflege und einer Forstpolitik, die das Zusammenspiel der Arten bewusst gestaltet.
Ein Ort für Menschen
Trotz – oder gerade wegen – dieser ökologischen Vielfalt bleibt der Stadtwald ein Ort für Menschen. Er lädt ein zum Spazieren, zum Lernen, zum Durchatmen. Neue Konzepte wie der Bestattungswald Terra Levis oder Waldführungen mit Förstern zeigen: Die Forstverwaltung denkt den Wald in alle Richtungen. Das gilt vor allem in den nächsten Wochen und Monaten, wenn das Forstamt bis in den Herbst hinein zu kleinen Entdeckungsreisen einlädt: etwa mit dem Förster und Mountain-Bike durch den Stadtwald.
Auch wirtschaftlich bleibt der Wald bedeutsam. Zwar hat sich die schwarze Null der Vorjahre in den Zeiten des Klimawandels verabschiedet. Doch Holzverkauf, Pflege, Erhalt und Zertifizierung stehen Artenvielfalt und Erholung gegenüber. Ergeben so ein Gesamtbild, das sich nicht nur in Zahlen, sondern in Lebensqualität ausdrückt.

Ein Generationenvertrag
Forstleute denken in Jahrhunderten. Was heute gepflanzt, gepflegt oder geschont wird, wird erst in Jahrzehnten seine Wirkung entfalten. Es ist dieser lange Atem, diese geduldige Haltung, die den Stadtwald Wiesbaden so besonders macht. Er steht für eine Zukunft, die wächst – still, beharrlich, vielstimmig.
Foto – „Stadtwald des Jahres 2025“, eine Auszeichnung, ein Schild. ©2025 Volker Watschounek
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