Der Zollspeicher in Biebrich: Denkmal mit Zukunft. Drei Konzepte, drei Visionen – Wohnen, Kultur oder Nachhaltigkeit.
Schon lange hat kein städtebauliches Thema in Biebrich so viele Menschen bewegt wie der Zollspeicher. Dicht gedrängt saßen die Besucher im Baudezernat, einige standen, viele lauschten gespannt. Der Andrang zeigte: Die Zukunft des denkmalgeschützten Gebäudes am Rheinufer beschäftigt. Zahlreiche Bürger wollten erfahren, wie es mit dem Zollspeicher weitergehen soll – oder sich selbst einbringen. Drei Entwürfe lagen auf dem Tisch, drei Visionen für ein Wahrzeichen zwischen Geschichte und Zukunft.
Finanzierung
Stadtentwicklungsgesellschaft Die Stadtentwicklungsgeseööschaft geht von einem Investitionsvolumen für den Umbau von rund 9,2 Millionen Euro aus. Die wirtschaftliche Tragfähigleit soll durch Appartements und Gastrovermietungen sicher gestellt werden. Die Mietpreise, die im Raum stehen: 5,00 Euro/qm Lagerfläche, 17,00 Euro/qm Gastro, 10,00 Euro/qm Gewerbe/Rooftop, Appaartements 500 Eiro, und WG-Zimmer 450 Euro. ZukunftsSpeicher, Guido Rech Investitionskosten 6 Millionen Euro Eigenkaptital über Genossemschaftsanteile 1,5 Millionen Euro Zuschüsse und Förderung 500.000 Euro Kaptialbearf 4 Millionen Euro Finanzierung über Genossenschaftsanteile (15.000 zu je 100 Euro) KüssdenFrosch Zu den exakten Kosten wurde wenig gesagt. Finanziert werden soll das Projekt nach dem Beispiel vom Bilder Bunker in Düsseldorf durch exklusiven Eigentumswohnungen mit einem Quadratmeterpreis von 12.000 Euro. Ausgehend von 400 Quadratmetern Grundfläche käme ein Ertrag von 4,0 Millionen Euro zusammen.
Andreas Kowol, Dezernent für Bauen und Verkehr, eröffnete die Veranstaltung mit einem Appell an die Gestaltungskraft der Öffentlichkeit. Er sprach von Durchlässigkeit und Aufenthaltsqualität, von Ideen, die über das Gebäude hinausreichen – bis ins Quartier, in den Alltag der Menschen. Wir wollen nicht nur informieren, wir wollen mit Ihnen reden, betonte Kowol. Ein Satz, der nicht nur programmatisch klang, sondern auch die Tür zu einem offenen Beteiligungsprozess aufstößt.
SEG: Gastronomie meets Azubi-Wohnen
Den Auftakt der Präsentationen übernahm die Stadtentwicklungsgesellschaft (SEG). Der SEG-Geschäftsführer Andreas Gunterum und sein Kollege Michael Frank präsentierten ein Konzept, das im Auftrag der Stadt entstanden war – mit klaren Leitplanken und wirtschaftlichem Fokus. Die SEG schlägt vor, das Gebäude in städtischer Hand zu behalten, auf Gastronomie zu setzen und Wohnraum für Auszubildende zu schaffen.
Im Erdgeschoss schlägt die SEG eine gastronomische Nutzung vor – mit direkter Verbindung zum Rhein. Dass dieser Ort dafür wie geschaffen ist, beweise der temporäre Biergarten, der in den Sommern 2022 und 2023 probeweise betrieben wurde. Die Resonanz: durchweg positiv. Gäste kamen zahlreich, das Angebot wurde angenommen, der Platz erwies sich als Magnet. Ein Weinstand steht bereits in direkter Nachbarschaft – warum also nicht dauerhaft auf Gastronomie setzen, die sich in das Ensemble einfügt und das Rheinufer weiter belebt?
Wohnraum: kompakt, praktisch, bezahlbar
Ein zentrales Element des Konzepts ist der Vorschlag, im oberen Teil des Gebäudes Wohnungen für Auszubildende einzurichten. Die SEG rechnet mit etwa 40 Betten – verteilt auf Mikroapartments oder kleine Wohngemeinschaften. Zielgruppe seien junge Menschen in Ausbildung, die in Wiesbaden keinen familiären Wohnraum finden – etwa bei Clariant, InfraServ oder im Handwerk.
Diese Wohnungen sollen kompakt und funktional gestaltet werden. Jedes Zimmer mit eigenem Bad, dazu Gemeinschaftsbereiche und eine barrierefreie Erschließung über einen neuen Aufzug. Die Miete: rund 450 Euro warm – nicht billig, aber marktgerecht kalkuliert
Im ersten Obergeschoss, vor allem im Bereich des ehemaligen Zollamts, sieht die SEG kleinteilige Büroflächen oder Veranstaltungsräume vor. Diese könnten von Start-ups, Freiberuflern oder auch sozialen Trägern genutzt werden. Alternativ sei ein Veranstaltungssaal denkbar – als Ergänzung zur Gastronomie oder für öffentliche Nutzungen.
Wichtig sei, so Frank, dass alle geplanten Nutzungen miteinander verträglich seien. Gastronomie und Wohnen müssten sich nicht stören – wenn die Zielgruppe stimme. Ein Auszubildender beschwert sich nicht über das Leben unter ihm, sagte Frank mit einem Augenzwinkern – Mieter die eher selbst abends runter gingen und ein Bier trinken würden.

KüssdenFrosch: Träumen erlaubt – und erwünscht
Die zweite Vision kam vom Düsseldorfer Projektentwickler KüssdenFrosch, und als Benedikt Stahl die Bühne betrat, wurde der Ton plötzlich ein anderer. Wo zuvor wirtschaftliche Realitäten im Mittelpunkt standen, zog nun ein Hauch von Poesie durch den Raum. Der Architekt und Mitgründer des Projektentwicklers KüssdenFrosch verstand es, den Zollspeicher nicht nur baulich, sondern auch atmosphärisch zu deuten – als schlafende Schönheit, die nur auf den richtigen Kuss wartete.
Stahl beschrieb den Speicher als Landmarke – nicht nur für Biebrich, sondern für ganz Wiesbaden. Ein Ort mit Geschichte, Potenzial und Charakter. Gemeinsam mit engagierten Biebricher Bürgern habe man im Team begonnen, das Haus neu zu denken. Nicht als bloßen Nutzungscontainer, sondern als Möglichkeitsraum.
Im Zentrum der Überlegungen stand ein kulturelles Nutzungskonzept. Ausstellungen, Konzerte, Co-Working-Spaces, Räume für Musik, Workshops und Bildung. Dazu Gastronomie mit Bezug zum Rhein – eine Weinbar, ein Hafenlokal. Ein lebendiger Ort, durchlässig, offen, vielfältig. Ein Haus für alle, so Stahl. Vom Fahrradfahrer über die Künstlerin bis zum Konzertbesucher.
Doch damit nicht genug: Die Entwickler möchten auch städtebaulich Akzente setzen. Ein Anbau an der Rückseite des Gebäudes könne entstehen – zurückhaltend, aber kraftvoll. Auch das Dach ließe sich – unter Einbindung des Denkmalschutzes – neu gestalten. Beispiele aus Rotterdam, Antwerpen und Düsseldorf zeigten, dass Aufstockungen möglich seien, wenn sie klug gedacht seien.
Natürlich sei all das nicht gesichert, betonte Stahl immer wieder. Es handele sich um erste Skizzen, Studien, Ideen. Aber: Man habe Erfahrung. Das Projekt Bilker-Bunker in Düsseldorf zeige, wie sich aus einem ungenutzten Bau ein lebendiges, selbsttragendes Kulturzentrum entwickeln lasse – finanziert durch hochwertige Wohnungen auf dem Dach, die wiederum die Kultur im Untergeschoss quersubventionieren. Was wäre, wenn es klappt?, fragte Stahl. Eine rhetorische Frage – und ein Angebot an Mut.

Ein Bürgerprojekt für eine gemeinsame Zukunft
Der dritte Entwurf unterschied sich in Ton, Inhalt und Zielgruppe deutlich von den beiden vorangegangenen. Guido Rech, ein erfahrener Projektentwickler zeigte anstelle eines klassische Immobilienprojekts ein gesellschaftliches.
Sein Konzept: ein Zentrum für Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE). Kein Museum, sondern ein Mitmach-Ort, vergleichbar mit dem Mathematikum in Gießen oder dem „Experimenta“ in Frankfurt. In Werkstätten, Seminaren, Ausstellungen und Erlebnisräumen sollen Besucher vorgelebt bekommen und lernen, wie Nachhaltigkeit konkret funktioniert – von Energie über Ernährung bis Wasserwirtschaft. Es geht darum, Zusammenhänge zu begreifen – spielerisch, interaktiv, inspirierend, sagte Rech.
Träger des Projekts soll eine Bürgergenossenschaft werden. Menschen aus Wiesbaden könnten Anteile zeichnen und so gemeinsam Verantwortung übernehmen. Hierfür würden 15.000 Anteile zu je 100 Euro bereit gestellt. Das Ziel: eine echte Bürgerimmobilie – getragen von vielen, kontrolliert von allen. Die Stadt, so Rech, solle kein Geld beisteuern müssen. Die Investitionen wolle man über Partner, Förderprogramme und das Engagement der Genossenschaft stemmen.
Gastronomie mit Bildungsauftrag
Auch baulich setzt das Konzept auf Zurückhaltung. Der Zollspeicher werde nicht umgebaut, sondern angepasst. Das Gebäude solle so wenig wie möglich verändert, aber optimal genutzt werden. Im Erdgeschoss solle eine Gastronomie einziehen – mit Bildungsauftrag. Ein sogenanntes „Ernährungslabor“ solle die Gäste informieren, wo ihr Essen herkommt, wie es zubereitet wurde und welchen ökologischen Fußabdruck es hinterlässt.
Im Obergeschoss seien Arbeitsräume für nachhaltige Start-ups, eine Bibliothek der Dinge und ein Veranstaltungsraum geplant. Auf dem Dach könne später eine Solaranlage ergänzt werden. Die Mobilität? Möglichst ohne Auto. Stattdessen wolle man das Wassertaxi „Tamara“ stärker einbinden – vielleicht künftig sogar elektrisch oder mit Wasserstoff betrieben.
Die Stärke des Konzepts liegt nicht in seiner architektonischen Strahlkraft, sondern in seiner gesellschaftlichen Vision: ein Ort für alle Generationen, ein Bildungszentrum, das ökologisch, wirtschaftlich und sozial denkt. Nachhaltigkeit fängt bei der Art an, wie wir Orte entwickeln, sagte Rech – und warb damit für eine stille, aber starke Idee.
Zollspeicher, und nun?
Mit diesen drei Entwürfen steht die Stadtgesellschaft vor einer spannenden Entscheidung. Alle drei Konzepte bieten plausible Lösungen – doch sie folgen unterschiedlichen Leitmotiven. Die SEG denkt pragmatisch, wirtschaftlich, funktional. KüssdenFrosch denkt kreativ, städtebaulich, visionär. Das Genossenschaftskonzept denkt gemeinschaftlich, bildungsorientiert, nachhaltig.
Wie es weitergeht, ist noch offen. Die Stadt Wiesbaden will nun prüfen, bewerten und das Gespräch mit den Bürgern fortsetzen. Vielleicht braucht es am Ende nicht eine Entscheidung für eine Idee – sondern eine kluge Verbindung mehrerer. Eine neue Projektskizze, die sich aus Elementen der vorgestellten Projekten bedient.
Fest steht: Der Zollspeicher ist wach. Jetzt kommt es darauf an, wie Wiesbaden mit diesem Erwachen umgeht. Wiesbaden lebt wird Biebrich dabei begleiten.
Foto – Michael Frank stellt den Entwurf der SEG vor @2025 Volker Watschounek
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