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Ein Gespräch mit Pfarrerin Katharina Wegner, Pfarrerin Birte Kimmel und Pfarrerin Christa Böttcher.

Sexismus und Gleichberechtigung im Pfarramt

Die Evangelische Erlösergemeinde Wiesbaden-Sauerland feiert mit einer Ausstellung und Gottesdiensten „50 Jahre Gleichstellung von Frauen und Männern im Pfarrdienst. Ein Gespräch mit Pfarrerin Katharina Wegner, Pfarrerin Birte Kimmel und Pfarrerin Christa Böttcher.

Volker Watschounek 3 Jahren vor 0

Sexismus in der Kirche kennen nicht nur katholische Frauen. Auch in der evangelischen Kirche kämpfen Pfarrerinnen und Ehrenamtliche gegen Vorurteile. Drei Pfarrerinnen aus drei Generationen berichten, wie sie ihren Beruf als Frau empfinden, ob sie Sexismus erleben und was sie sich in Sachen Gleichberechtigung wünschen.

In der Evangelischen Erlösergemeinde im Wiesbadener Stadtteil Sauerland wurde vor 50 Jahren, am 1. August 1971, die verheiratete Pfarrerin Eveline Clotz auf Lebenszeit verbeamtet. Sie war damit die erste Pfarrerin in der gesamten Landeskirche und darüber hinaus, die ihren männlichen Pfarrkollegen vollständig rechtlich gleichgestellt wurde. Denn in vielen evangelischen Landeskirchen gab es für Frauen im Pfarrdienst Sondergesetze. In der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) wurden alle Vorschriften ab dann geschlechtsunabhängig.

Thema Sexismus, werden Frauen im Pfarrberuf anders behandelt?

Katharina Wegner: Ich habe das in der Vergangenheit oft erlebt. Auf meiner ersten Pfarrstelle als verbeamtete Pfarrerin habe ich mit einem männlichen Kollegen zusammengearbeitet. Oft hieß es dort: der Herr Pfarrer und Frau Wegner – dabei war er noch nicht verbeamtet. Auch wenn das vielleicht nicht abwertend gemeint war, kam das so an.

Christa Böttcher: Das kenne ich auch. Außerdem wusste die Gemeinde anfangs nicht, wie sie meinen Mann ansprechen sollte. Die Ehefrau des Pfarrers war ja die Pfarrfrau, aber was war der Ehemann der Pfarrerin?

Katharina Wegner: Nach Trauergesprächen wurde ich von Angehörigen immer wieder gefragt, ob ich meine Aufzeichnungen für die Beerdigung an den Pfarrer weitergeben könnte. Ich habe dann erklärt, dass ich Pfarrerin sei und die Beerdigung selbst mache und nicht der Kollege. Das wurde leider nicht immer verstanden. Hierbei gibt es – so denke ich – ein großes Stadt- Landgefälle. Ich habe auch erlebt, dass Männer von mir nicht das Abendmahl empfangen wollten, mit der Begründung, ich könnte ja meine Tage haben. In Zeiten des Alten Testaments galten diese Frauen als unrein.

Christa Böttcher: Auf meiner ersten Stelle war ich die erste Pfarrerin in dieser Gemeinde: Ich hatte gleich zu Beginn 65 Konfirmandinnen und Konfirmanden im Unterricht. Im Nachhinein haben mir Kirchenvorsteher erzählt, dass sie es sich nicht vorstellen konnten, wie eine junge Frau sich da durchsetzen kann. Bevor der Kurs startete, hatten sie einen Plan gemacht, wer mich wann unterstützen kann. Das wurde zu ihrem Erstaunen dann nicht nötig.

Katharina Wegner: Als meine Töchter in der Grundschule waren, wurde ich in einem Bewerbungsgespräch von Mitgliedern des Kirchenvorstandes gefragt, wer denn auf meine Kinder aufpasse. Ich bezweifle, dass Pfarrer, die auch Väter sind, sich vergleichbar erklären müssen. Anderen berufstätigen Müttern geht es wahrscheinlich ähnlich.

Christa Böttcher: Probleme hatte ich mal mit einem katholischen Pfarrkollegen. Er hat mich spüren lassen, dass er nicht damit klarkommt, dass ich diesen Beruf als Frau ausübe. Das ging so weit, dass er bei ökumenischen Trauungen auch in der evangelischen Kirche, als einziger den Segen sprechen wollte. Da er darauf bestanden hat, habe ich mit ihm keine Trauungen mehr gemacht.

Birte Kimmel: Ich erlebe bis jetzt keinerlei Vorbehalte. Ich trage einen Talar mit Stehkragen ohne Beffchen, weil das Beffchen ursprünglich ein Bartschutz für die Männer war. Anfangs hat mich mal jemand irritiert gefragt, ob ich das Beffchen denn später noch bekommen würde.

Christa Böttcher: Im früheren Dekanat Wallau war ich die erste Pfarrerin. Der damalige Dekan hat zu den Pfarrkonventen weiterhin mit „Liebe Brüder“ eingeladen. Das änderte sich zunächst auch nicht, als ich ihn darauf ansprach, dass es inzwischen nicht nur Brüder gibt. Erst als ich nicht mehr zu den Konventen kam und ich auf Nachfrage darauf hinwies, dass ich ja nicht eingeladen werde, änderte sich die Anrede in „Liebe Brüder, liebe Frau Böttcher“.

Mittlerweile sind Frauen und Männer im Evangelischen Dekanat Wiesbaden etwa in gleicher Zahl vertreten. Der Frauenanteil im Theologiestudium ist sogar etwas höher. Ist in Sachen Gleichberechtigung in der Evangelischen Kirche alles erreicht?

Christa Böttcher: Wenn ich zurückblicke, finde ich schon, dass viel geschafft ist.

Ich habe mich von den Gemeinden akzeptiert und anerkannt gefühlt und war gegenüber den Kollegen nicht benachteiligt. Früher war es sicher so, dass sich die Gemeinden eher einen Pfarrer wünschten und dass Kirchenvorstände sich bei zwei Stellen in der Gemeinde eher zwei Pfarrer als zwei Pfarrerinnen vorstellen konnten Das hat sich gewandelt. Die Kirchengemeinden in Hochheim und Nordenstadt haben seit langem etwa zwei Pfarrerinnen. Hochheim ist gerade wieder neu besetzt worden und hat erneut zwei Pfarrerinnen.

Katharina Wegner: Es gibt ja schon wieder Stimmen, die davon sprechen, dass der Pfarrberuf durch die hohe Frauenquote feminisiert und deshalb abgewertet wird. Trotz allem Erreichten gibt es noch einiges zu tun – sowohl in den Köpfen als auch in der Verteilung der Ämter. Ich bin gespannt, ob wir mal eine Kirchenpräsidentin bekommen.

Birte Kimmel: Ich habe in meinem Vikariatskurs einen Kollegen gehabt, der sehr viel feministischer war als ich. Ich denke, die Rollen verändern sich in der jüngeren Generation.

Sie arbeiten in Ihrem Beruf viel mit alten Texten und sind mit traditionellen Geschlechterbildern konfrontiert. Wie gehen Sie damit um?

Birte Kimmel: Ich versuche auch weibliche Formulierungen von Gott zu nutzen: die Quelle des Lebens, ,sie‘ statt ,er‘, ich vermeide in der Gebetsansprache das Wort Vater. Ich finde die Vielfalt an Formulierungen bereichernd, weil das auch unser Gottesbild facettenreicher macht.

Christa Böttcher: Dem stimme ich zu. Ich bin damit aber immer vorsichtig umgegangen. Viele finden es verstörend, weil sie es anders gewohnt sind. Ich habe aber oft die Erfahrung gemacht, dass man dann dennoch gut ins Gespräch kommt.

Birte Kimmel: Es kommt tatsächlich sehr auf die Gemeinde an. In meiner Vikariatsgemeinde im Dillkreis hätte es einen Aufstand gegeben. Man muss es ausprobieren.

Katharina Wegner: Es ist einfacher eine Predigtreihe über Frauengestalten in der Bibel anzubieten als die Sprache zu ändern. Und doch denke ich, dass es notwendig ist. Je selbstverständlicher neue Formulierungen einfließen, ohne zu kämpferisch daher zu kommen, umso größer sehe ich die Chance der Akzeptanz. Sprache ist ja immer im Fluss. Und auch der Duden nimmt nach und nach die Neuerungen auf, die vermehrt in der Praxis vorkommen. Jeder Prozess braucht seine Zeit.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Katharina Wegner: Die starre Polarität von männlich und weiblich stimmt ja so nicht. Das können wir im gesellschaftlichen Diskurs verfolgen. Ich würde mir wünschen, dass wir auch in der Kirche Menschen in allen Bereichen in ihrer Diversität mehr (Be)-Achtung und Raum geben, dass wir Homosexuelle, Transgender, Regenbogenfamilien und andere Formen als Bereicherung erleben, und sie sich als selbstverständlicher Teil der Gemeinschaft erfahren können.

Birte Kimmel: Ich finde es wichtig, dass wir den Blick stärker auf Emanzipation im Sinne von Gleichberechtigung richten. Im Feminismus haben wir, glaube ich, viel erreicht in den vergangenen Jahren, nur müssen wir allmählich den Blick auch auf die Jungs und Männer richten. Bei zwei Drittel der Abiturientinnen frage ich mich, was ist mit den genauso begabten Männern? Richtig gut werden wir nur gemeinsam.

Zu den Personen:

Pfarrerin Katharina Wegner (56) ist mit halber Stelle Gemeindepfarrerin in der Erlösergemeinde in Wiesbaden-Sauerland. Sie lebt mit ihrem Mann in Rheinhessen und ist Mutter von zwei erwachsenen Kindern.

Pfarrerin Birte Kimmel (29) ist Pfarrerin im Probedienst in der Lukas- und der Hoffnungsgemeinde in Wiesbaden-Biebrich. Sie ist die jüngste Pfarrerin im Dekanat Wiesbaden. Sie lebt mit ihrem Partner im Pfarrhaus der Hoffnungsgemeinde.

Pfarrerin Christa Böttcher ist 71 Jahre alt und seit sechs Jahren im Ruhestand. Sie war Gemeindepfarrerin unter anderem in Bierstadt und Delkenheim.

Gleichstellung wird gefeiert

Die Evangelische Erlösergemeinde Wiesbaden-Sauerland feiert das Jubiläum mit Gottesdiensten und der Ausstellung „50 Jahre Gleichstellung von Frauen und Männern im Pfarrdienst“. Die stellvertretende Kirchenpräsidentin Ulrike Scherf predigt am Sonntag, 1. August, 10 Uhr, im Gottesdienst im Sauerland unter freiem Himmel – auf dem Außengelände der Evangelischen Kita (Langeooger Straße 45).
Anmeldung: Telefon 0611 – 421175 oder erloesergemeinde.wiesbaden@ekhn.de.
Im Anschluss wird die Ausstellung in der Erlöserkirche, Föhrer Straße 84, zu sehen sein.

Zwei weitere Gottesdienste im Sauerland knüpfen an das Thema an: Sonntag, 8. August, 10 Uhr, wird Pfarrerin Katharina Wegner sich mit der Prophetin Hulda (2. Könige 22) beschäftigen. Am Sonntag, 22. August, 10 Uhr, wird Pfarrerin Clarissa Graz das Gleichnis von der bittenden Witwe (Lukas 18) zum Gottesdienst-Thema machen.

Bild oben ©2021 Andrea Wagenknecht

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Die Internetseite der Evangelischen Erlösergemeinde finden Sie unter ev-erloesergemeinde-wiesbaden-sauerland.ekhn.de.

 

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Geschrieben von

Volker Watschounek lebt und arbeitet als freier Fotograf und Journalist in Wiesbaden. SEO und SEO-gerechtes Schreiben gehören zu seinem Portfolio. Mit Search Engine Marketing kennt er sich aus. Und mit Tinte ist er vertraut, wie mit Bits und Bytes. Als Redakteur und Fotograf bedient er Online-Medien, Zeitungen, Magazine und Fachmagazine. Auch immer mehr Firmen wissen sein Know-how zu schätzen.