Ein Raum voller Glitzer, Lachen, Staunen. Taylor Swift schickt ein Wiesbadener Gemälde in die Welt – und die Fans gehen auf Spurensuche zurück, voller Liebe.
Während im Foyer des Hessischen Landesmuseums für Kunst und Natur Popmusik aus den Boxen läuft, posieren junge Frauen. Sie tragen Taylor-Swift-Shirts oder sind verkleidet als Ophelia. Insgesamt rund 200 Fans der US-amerikanischen Popikone sind am Sonntagnachmittag zur ersten Swift-Sonderveranstaltung ins Museum Wiesbaden gekommen – um ein wiederentdecktes Jugendstilgemälde aus dem 20. Jahrhundert zu sehen, sich in Szene zu setzen und am Ende mit einem Selfie weiterzugehen.
Alles legal?
Ein häufiger Gedanke: Hätte die US-amerikanishe Sängerin für das Video die Rechte an Heysers Ophelia einholen müssen? Nein. In Deutschland gelten Kunstwerke 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers als gemeinfrei und können ohne Genehmigung genutzt werden. Das alte Werk erlebt also eine neue Karriere – diesmal auf internationalen Bildschirmen.
Vier Wochen zuvor, am 3. Oktober 2025 flimmern zwölf Sekunden Videomagie über die Bildschirme. In Taylor Swifts Musikvideo The Fate of Ophelia blitzt kurz ein Bild auf, das Kunstkennern vertraut vorkommt: Friedrich Wilhelm Theodor Heysers Ophelia von 1900, dass 2017 völlig marode bei einer Auktion auftauchte. Binnen Stunden durchkämmen Swifties das Internet, vergleichen Ausschnitte, suchen Spuren – und finden sie – in Wiesbaden. Seitdem herrscht Ausnahmezustand: Besucherzahlen schießen in die Höhe, Selfies vor dem Gemälde werden zum Muss, das Museum zum Insta-Hotspot. Hochkultur und Pop verschmelzen – frischer und lauter als je zuvor.
„The Life of a Showgirl“ trifft auf das Museum
Am selben Tag veröffentlichte Taylor Swift ihr 12. Album The Life of a Showgirl. „Seitdem dreht das Internet durch“, erzählt Ann-Katrin Spieß vom Museum Wiesbaden. Je nachdem, wann Fans in Swifts Karriere eingestiegen sind – ob Country, Pop oder Folk – haben sie unterschiedliche Erwartungen an das Album. Ist das Taylor Swift schlechtestes Album? Titelte die FAZ. Das Album liefere enttäuschendes Mittelmaß, schrieb der NDR.
„Taylor Swift als sehr erfolgreiche Frau hat viele Anfeindungen ausgelöst. Ihre Musik sei angeblich schlecht, Fans gelten als sektenähnlich. Leistungen werden klein geredet, ihre Geschichten anders bewertet als die männlicher Kollegen,“ fährt Spieß in ihrem etwa 15-minütigen Vortrag fort. Trotz aller Kritik wächst die Fangemeinde – und bringt plötzlich Hunderte neue Besucher ins Museum.
Warum ausgerechnet Ophelia?
Charmant fragt Spieß: „Wie kam Taylor Swift dazu, ausgerechnet dieses Gemälde für ihr Video auszuwählen?“ Vielleicht ein Hauch von Größenwahn: Könnte Tay-Tay selbst das Museum während ihrer Europa-Tournee 2024 inkognito besucht haben, fragt sie schmunzelnd in die Runde. Vermutlich nicht. Das Museum Wiesbaden hat Glück: Mit der Schenkung von Ferdinand Wolfgang Nees präsentiert das Haus eine der bedeutendsten privaten Jugendstilsammlungen Deutschlands.

In der Anfangsszene zu The Fate of Ophelia schlüpft Taylor Swift in die Rolle der Ophelia und wird selbst zum lebendigen Gemälde. Der direkte Vergleich zeigt eine verblüffende Ähnlichkeit zum Werk des Jugendstilmalers Heyser (1857–1921). Das Gemälde entstand um die Jahrhundertwende, möglicherweise in Dresden, und gehört seit Jahrzehnten zu den Schätzen der großen Jugendstil-Sammlung. Einige Objekte sind online längst Stars, darunter spätestens jetzt Heysers Ophelia.
Die Parallelen zwischen Bild und Video eröffnen eine neue Perspektive: Kunstgeschichte wird lebendig, Popkultur trifft auf Jugendstil, und Besucher erleben eine Verbindung, die sie so nicht erwartet hätten.
Wer ist Ophelia eigentlich?
Ophelia stammt aus Shakespeares Hamlet. Sie ist die junge Frau, die zwischen familiären Intrigen und Hamlets widersprüchlicher Liebe gefangen ist. Am Ende ertrinkt sie – oder wird vom Schicksal hinweggetragen. Heysers Komposition zeigt Ophelia friedlich im Wasser, umgeben von Blumen – Sinnbild weiblicher Zerbrechlichkeit und Schönheit. Doch hinter der idyllischen Szene steckt eine Frau ohne Entscheidungsfreiheit, die der Handlung ausgeliefert ist.
Von Passivität zur Selbstermächtigung
Taylor Swift dreht die Geschichte um. In The Fate of Ophelia ist das Wasser nicht länger zum Ort des Untergangs, sondern zur Bühne der Selbstermächtigung. Swift zeigt eine Frau, die sich nicht treiben lässt, sondern aufsteht: „I swore my loyalty to me, myself and I“. Ann-Katrin Spieß erklärt: „Sie nimmt alte Kunst und gibt ihr eine neue Stimme. Frauen handeln selbst, statt sich treiben zu lassen.“
Friedrich Wilhelm Theodor Heyser (1857–1921)
Friedrich Heyser war ein deutscher Porträt-, Landschafts- und Historienmaler. Er studierte von 1880 bis 1883 an der Königlichen Kunstakademie Dresden bei Leon Pohle und Paul Mohn, anschließend bei Ferdinand Keller in Karlsruhe (1883–1885) und besuchte 1890 kurz die Académie Julian in Paris. Er lebte und arbeitete in Berlin, Bad Harzburg und Dresden.
Heyser war Mitglied der Allgemeinen Deutschen Kunstgenossenschaft und der Dresdner Künstlergruppe Grün-Weiß (ab 1910), die innerhalb der eher konservativen Dresdner Kunstszene modernere Positionen präsentierte. Bekannt ist er vor allem für Porträts und figurative Kompositionen wie das Jugendstilgemälde Ophelia (1900), das bis heute als herausragendes Beispiel für Feingefühl, Lichtführung und symbolische Ausdruckskraft gilt.
Im Gespräch ergänzt Museumsdirektor Andreas Henning: „Das Schöne ist, dass die Swifties sich nicht nur das Gemälde anschauen, sondern sich dann auch durch das Museum weiterbewegen und neugierig sind. Sie lassen sich im Museum inspirieren.“ Henning selbst sei noch kein Swiftie, aber er lerne täglich, was alles zum Kosmos dazugehöre, sagt er. „Und dieser Song geht natürlich auch mir nicht mehr aus dem Ohr.“ Daher verrät er uns aus, dass das Museum weitere Swiftie-Veranstaltugen plan und das Heyers Kunstwerk einen neuen Platz in der Jugendstilausstellung erhalte.
Swiftie-Tour: Pop trifft Jugendstil
Ab dem 13. November startet die Swiftie-Tour: Easter Eggs, Songzitate, Soundmomente zwischen Jugendstil und Popgeschichte warten auf die Besucher. Ein Rundgang wird zum Erlebnis zwischen Shakespeare und Swift, Ophelia und uns selbst. Das Museum Wiesbaden zeigt: Kunst lebt, wenn sie berührt, Fragen stellt und Grenzen sprengt. Taylor Swift hat das Museum Wiesbaden nicht nur viral gemacht – sie hat es verwandelt.
Bild – Swifties und das Selfie vor Orphelia ©2025 Volker Watschounek / Wiesbaden Lebt!
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