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Valentin Persau, Portrait, Armut

„Es gibt Auswege aus der Armut“

Armut in der Kindheit geht mit schlechteren Bildungschancen und damit niedrigeren Schul- und Ausbildungsabschlüssen einher. Wer arm aufwächst, hat wenig Möglichkeiten der Armut zu entkommen. Eine Studie klärt auf. Valentin Persau erklärt, was er herausgefunden hat.

Volker Watschounek 3 Jahren vor 0

Armut kann schnell zu einem Lebensschicksal werden. Wer arm aufwächst, bleibt häufig arm – verpasst beim Überbang ins junge Erwachsenenalter die Chancen der Armut zu entkommen. Ein Gespräch mich Valentin Persau .

Ein Zusammenschluss Wiesbadener Organisationen und Institutionen sensibilisiert für das Thema Kinder- und Jugend-Armut in Wiesbaden. Sie wollen aufklären, mit Vorurteilen aufräumen und zum Handeln anregen. In einer Studie zeigt Valentin Persau, Referent für Sozialpolitik beim Bundesverband der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Berlin, auf, welche Möglichkeiten sich zu welchem Zeitpunkt bieten. Wir haben mit ihm gesprochen.

Nicole Nestler, Was verbirgt sich hinter der „Studie zu Armut im Lebensverlauf“?

Valentin Persau: Die AWO ist Träger von etwa 2500 Kindertageseinrichtungen. Kinderarmut begegnet uns also auch in der eigenen Arbeit. Mit den Einrichtungen, Fachkräften und Familien wollten wir sie praxisnah erforschen. Aus dieser Idee ist eine Langzeitstudie geworden, die sich zwischen 2017 bis 2020 in der fünften Phase befand.

In der Langzeitstudie wurden die 1993 geborenen Kinder und ihre Familien, die zu Beginn der Studie eine von 60 untersuchten AWO-Kitas besucht haben, in ihrem Lebensverlauf begleitet und immer wieder, vor allem in Übergangsphasen wissenschaftlich befragt. Das macht die Studie einzigartig. Uns liegen über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren Informationen über arme und nicht arme Kinder und Familien vor. Wir können besser verstehen, wie sich Armut auf das Aufwachsen der Kinder auswirkt.

Wir verstehen Armut nicht nur als Mangel an Geld. Da fängt es zwar häufig an, aber Armut lässt sich nicht ganzheitlich begreifen und bekämpfen, wenn wir nicht auch ihre komplexen kulturellen, sozialen und gesundheitlichen Folgen in den Blick nehmen, etwa Bildungsbenachteiligungen, das soziale Kapital oder gesundheitliche Belastungen.

Zu welchem Ergebnis ist die Studie gekommen?

Die Studie zeigt, dass Armut häufig zu einem Lebensschicksal werden kann, wenn man Armutserfahrungen bereits in der Kindheit macht. Ein Drittel der befragten ehemals armen Kinder und Jugendlichen sind auch als 25-Jährige noch arm.

Das klingt ziemlich ausweglos…

Es gibt durchaus Auswege aus der Armut. Der Übergang ins junge Erwachsenenalter etwa ist eine große Chance. Wichtig sind dabei verlässliche Unterstützungsangebote. Wenn sozial- und familienpolitische Ressourcen und Strukturen vorhanden sind, können wir auch etwas gegen Kinderarmut bewegen. Das ist die positive Botschaft der Studie.

Was konkret brauchen die jungen Menschen bei diesem ohnehin schwierigen Übergang vom Jugendalter ins junge Erwachsenenalter, um der Armut zu entkommen?

Der Übergang ins Erwachsenenalter ist eine herausfordernde Zeit für junge Menschen: Bildungsabschluss, Berufsstart, Auszug aus dem Elternhaus, feste Partnerschaft und dann ggf. Familiengründung. Für diese weitreichenden Fragen benötigen junge Menschen Unterstützungsstrukturen und -ressourcen – persönlich, im innerfamiliären und sozialen Umfeld, und durch die sozial- und bildungspolitische Infrastruktur vor Ort.

In der Studie geben aber gerade viele arme junge Menschen an, wenig Vertrauen in die eigene Selbstwirksamkeit zu haben. Sie verfügen oft über ein kleineres soziales Netzwerk und berichten häufiger von Schwierigkeiten mit Ämtern und Behörden. Über den Lebensverlauf der jungen Menschen betrachtet, sieht man deutlich, dass sich die genannten Schwierigkeiten nicht erst im jungen Erwachsenenalter ergeben.

Entscheidend ist also, wie die soziale Infrastruktur vor Ort ausgebaut ist, wie Kinder und Jugendliche und ihre Familien gerade an den sensiblen Übergangsphasen begleitet werden, wie die Institutionen vor Ort mit Armut umgehen und nicht zuletzt, wie Prävention und Bekämpfung von Kinderarmut finanziert sind.

Besonders junge Frauen und Alleinerziehende sind überproportional von Armut betroffen. Welche besondere Unterstützung brauchen sie, damit sich Armut nicht über die Generationen vererbt?

Die Studie bestätigt, dass Armut häufig geschlechtsspezifisch ausgeprägt ist. Das Armutsrisiko von Frauen und von Alleinerziehenden ist überdurchschnittlich hoch. Selbst bei gleich hohem Bildungsniveau ist die Arbeitsmarktsituation der befragten jungen Frauen häufig prekärer. Tradierte Rollen- und Familienbilder sind offenbar immer noch tief verankert und führen zu Nachteilen beim Zugang zum Arbeitsmarkt.

Außerdem gibt es einen Zusammenhang zwischen dem hohen Risiko von Frauen, häusliche Gewalt zu erleben und infolgedessen von Armut betroffen zu sein. Unentschuldigte Fehlzeiten und längere Krankschreibungen können zu Arbeitsplatzverlusten führen. Zudem wissen wir, dass auch unbezahlte Haushalts- und Sorgearbeit überproportional von Frauen verrichtet wird.

Hier fordern wir eine Reihe von Maßnahmen für mehr Geschlechtergerechtigkeit: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit, familienorientierte Arbeitszeitmodelle, Aus- und Weiterbildungschancen in Teilzeit und einen Ausbau der Betreuungsinfrastruktur. Es geht unter vielem anderen auch um die Aufwertung und tarifvertragliche Erschließung der Branchen und Berufe, in denen mehrheitlich Frauen arbeiten.

Die Arbeiterwohlfahrt schreibt anlässlich der fünften Studienphase, dass die Bereiche Armutsprävention und -bekämpfung neu diskutiert werden müssen. Welche Veränderungen fordern Sie?

Konkret haben wir aus der Studie fünf politische Forderungen abgeleitet:

1)      Kinderarmut muss immer im Kontext der Familie betrachtet werden. Wir müssen Einkommensarmut bekämpfen und die Rahmenbedingungen für gute und existenzsichernde Arbeit verbessern

2)      Es braucht eine einkommensabhängige Kindergrundsicherung, um die soziokulturelle Teilhabe von Kindern und Jugendlichen finanziell verlässlich abzusichern.

3)      Wir müssen die soziale Infrastruktur vor Ort weiter ausbauen. Denn Kinder brauchen beides: Geld und Infrastruktur.

4)      Es muss in gute Bildung und Bildungsgerechtigkeit als Schutzfaktor gegen Armut investiert werden.

5)      Der Übergang in Ausbildung und Arbeit muss für alle jungen Erwachsenen sichergestellt werden.

Am Ende ist es politischer Wille: Lassen wir es weiter zu, dass jedes fünfte Kind in Deutschland von Armut bedroht oder betroffen ist, oder machen wir es uns auf allen politischen Ebenen zur Priorität, Kinderarmut in einem der reichsten Länder der Welt wirksam zu bekämpfen? Es liegt an uns.

Aus der Studie

Armut im jungen Erwachsenenalter

Nach der Armutsdefinition der AWO-ISS-Studie (s. o.) lebten 23 Prozent der Studienteilnehmenden im Jahr 2018 in Armut; davon waren 73 Prozent Frauen und 62 Prozent Personen ohne Migrationshinter- grund. Staatliche Transferleistungen haben 27 Prozent der armen jungen Erwachsenen bzw. 13 Prozent der 196 Studienteilnehmenden insgesamt erhalten.

Lebenslagen der (armen) jungen Erwachsenen

Die Analysen der Lebenslagen der jungen Menschen zeigen, wie umfassend und komplex sich Armut auf alle Bereiche des Lebens auswirken kann. Armut im Alter von 25 Jahren geht dabei vor allem mit massiven Einschränkungen in der materiellen Grundversorgung und Teil- habe sowie schlechter psychischer Gesundheit einher. Einschränkungen in der kulturellen und sozialen Lage sind bei den jungen Erwachsenen insgesamt zwar weniger ausgeprägt, sie kumulieren jedoch bei einzelnen Personen, die wiederum häufig in Armut

Foto oben ©2021 Dekanat Wiesbaden bearbeitet Wiesbaden lebt!

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Wenn Kinderarmut erwachsen wird: Eine Kurzfassung der Studienergebnisse finden Sie unterwww.iss-ffm.de.

 

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Geschrieben von

Volker Watschounek lebt und arbeitet als freier Fotograf und Journalist in Wiesbaden. SEO und SEO-gerechtes Schreiben gehören zu seinem Portfolio. Mit Search Engine Marketing kennt er sich aus. Und mit Tinte ist er vertraut, wie mit Bits und Bytes. Als Redakteur und Fotograf bedient er Online-Medien, Zeitungen, Magazine und Fachmagazine. Auch immer mehr Firmen wissen sein Know-how zu schätzen.