Sven Drühl bringt Landschaftsmalerei ins Jetzt – mit Gaming-Ästhetik, Lack und Theorie. Das Museum Wiesbaden zeigt seinen konzeptuellen Rückblick.
Von Wiesbaden in die Welt, von den Alpen ins Digitale: Was auf den ersten Blick aussieht wie klassische Landschaftskunst, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als hochkomplexe Konzeptarbeit. Sven Drühl, Künstler, Kunsthistoriker und einst Mathematiker, demontiert Sehgewohnheiten. Und zwar leise, konzentriert und mit bewundernswerter Konsequenz.
Museum Wiesbaden, kurz gefasst
Ausstellung – Sven Drühl – Remix der Romantik Wann: 8. Mai bis 28. September 2025 Eintritt: 12,00 Euro Wo: Museum Wiesbaden – Hessisches Landesmuseum für Kunst und Natur, Friedrich-Ebert-Allee 2, 65185 Wiesbaden
Im Museum Wiesbaden zeigt er bis zum 28. September unter dem Titel „Sven Drühl – Remix der Romantik“ eine Ausstellung, die Vergangenheit und Gegenwart aufeinanderprallen lässt. Nicht laut, nicht plakativ – sondern so, wie Landschaft selbst oft funktioniert: als ruhiger Resonanzraum für Projektionen und Empfindungen.
Kein Ort. Kein Mensch. Kein Zufall.
Sven Drühl malt Landschaften – aber er war noch nie mit einer Staffelei draußen unterwegs. Er braucht keine echten Berge. Seine Bildwelten entstehen aus Gemälden der Romantik, aus Vektordateien, aus alten Computerspiel-Hintergründen. Was in Öl und Lack auf Leinwand erscheint, basiert auf Samples: visuelle Fragmente von Kaspar David Friedrich, Ferdinand Hodler, Janus la Cour oder aus digitalen Landschaftsgeneratoren. Drühl komprimiert, kombiniert, codiert. Seine Bilder sind mehr Komposition als Reproduktion, mehr Idee als Idyll.
Auffällig ist die Abwesenheit von Menschen. Keine Staffage, keine Hirtenkinder, keine historischen Accessoires. Alles Narrative ist eliminiert. „Wenn eine Figur auftaucht, beginnt eine Geschichte“, erklärt der Künstler. „Und ich will keine Geschichte erzählen. Ich will Landschaft zeigen – und zwar pur.“
Die Technik als Haltung
Seine bevorzugten Materialien sind Lack, Öl und Silikon. Das klingt erst mal nach Baumarkt – doch was daraus entsteht, ist präzise konstruierte Malerei. Wochenlang maskiert, geschichtet, geschliffen. Die spiegelnden Oberflächen zwingen die Betrachtenden zur Interaktion: Man sieht sich selbst in der Landschaft. Die Realität kippt ins Bild, das Bild spiegelt Realität.
Drühls „Undead“-Serie – monochrome, fast bedrohliche Schwarztöne – wirken wie Landschaftsbilder aus einer Welt nach dem Licht. Andere Werke zitieren Vulkanausbrüche, aufgewühlte See, geologische Brüche – nicht als romantische Naturgewalt, sondern als Statement zu Klima, Transformation und Wahrnehmung. Dabei bleibt Drühl subtil. Kein politisches Banner, sondern ein Kommentar durch Materialwahl, Ausschnitt und Kontext.

Kuratiertes Gespräch
Die Ausstellung im Museum Wiesbaden ist mehr als eine Retrospektive. Es ist ein kuratierter Dialog. Neben Drühls Werken hängen historische Landschaftsgemälde des 19. Jahrhunderts – teils aus seiner eigenen Sammlung, teils aus dem Depot des Museums. Peter Forster, Kurator der Schau, hat bewusst nicht gegeneinander gehängt, sondern ineinander. Da trifft die Lackfläche auf das fein gemalte Fjordbild. Da begegnet sich Gaming-Berg und romantische Wolkenstimmung.
Oben in der ständigen Sammlung setzt sich der Dialog fort: Dort hängt ein weiteres Werk Drühls – diesmal im Raum mit echten Alten Meistern. Die Linie führt sich fort, vom Zitat zur Referenz, vom Original zur Neuinterpretation.
Remix statt Reproduktion
Drühl bezeichnet seine Arbeitsweise als „Bastard Pop“. Eine Reminiszenz an die Musik der 1990er, in der DJ-Künstler wie Girl Talk Songs von Kraftwerk mit Whitney Houston vermischten. Auch Drühl mixt: Kaspar David Friedrichs Horizont trifft auf Hodlers Felsen, dazu die Äste aus einem Wolfgang-Tillmans-Foto. Es entstehen Werke wie „CEF-BVR-EKSD“ – ein Akronym aus den Initialen der zitierten Künstler. Die Titel sind Hinweise, keine Poesie. Kunsthistorische Spurensuche statt romantischer Überschwang.
Zur Person Sven Drühl
Sven Drühl (*1968 in Nassau/Lahn) ist ein deutscher Künstler und promovierter Kunstwissenschaftler. Er studierte Kunst und Mathematik in Essen und lehrte seit 1997 an verschiedenen Hochschulen, unter anderem in Frankfurt, Leipzig und Hangzhou. Drühl arbeitet im Bereich konzeptueller Malerei: Er „remixt“ Motive aus Kunstgeschichte und Gegenwart, verarbeitet sie in Serien, großformatigen Bildpanoramen, Neonarbeiten und seit 2019 auch in Bronze-Skulpturen. International ausgestellt – von den USA über Asien bis Europa – ist sein Werk der Appropriation Art und seriellen Kunst verpflichtet. Wissenschaftlich publizierte Drühl zahlreiche Themenbände des Kunstforum International und das Künstlerkompendium Berlin.Status. 2005 promovierte er über Künstlerbilder im 20. Jahrhundert. Sven Drühl lebt und arbeitet in Berlin und ist Mitglied im Deutschen Künstlerbund.
Rückkehr mit Perspektive
Für Drühl ist die Ausstellung in Wiesbaden ein Heimspiel. In der Nähe geboren, als Teenager ins Museum gegangen, jetzt zurück als Künstler. Und als jemand, der der Malerei zutraut, auch im 21. Jahrhundert noch etwas zu sagen zu haben – ohne sich anzubiedern.
Landschaft als Genre ist für ihn nicht auserzählt. Im Gegenteil. Seine Werke zeigen, wie stark die Bilder der Romantik im kollektiven Gedächtnis verankert sind – und wie viel Neues darin noch steckt, wenn man die Perspektive ändert. Es ist ein Remix. Aber einer mit Haltung.
Rahmendaten
Tickets
Sonderausstellungen: 12,- Euro regulär / 9,- Euro ermäßigt
(das Ticket umfasst den Eintritt auch in alle anderen Sonder- und Dauerausstellungen)
Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren freier Eintritt.
Schulklassen und pädagogische Gruppen inkl. 2 Betreuer:innen freier Eintritt.
Zur Ausstellung erschien der gleichnamige Katalog (herausgegeben von Karl Bühlmann, Hans Erni Stiftung, Peter Forster, Museum Wiesbaden, Heinz Stahlhut, Hans Erni Museum Luzern) bei Hatje Cantz, 216 Seiten, 29,90 € an der Museumskasse, ISBN 978-3-7757-5679-2). Eine kostenfreie Media-Tour in der MuWi-App begleitet die Schau.
Bild – Skulptur von Sven Drühl ©2025 Volker Watschounek
Weitere Nachrichten aus dem Stadtteil Mitte lesen Sie hier.
Mehr zum Museum Wiesbaden: museum-wiesbaden.de.
Mehr von Sven Drühl.