Die Häschenschule ist ihr gut in Erinnerung. Erst den Kindern, dann den Enkeln. Immer wieder hat sie ihnen daraus vorlesen müssen. Das hat fit.
Festlich gedeckte Tafel, ein duftender Frankfurter Kranz mit einer 100er-Kerze und ein Tisch voller Geschenke – so feierte Ortrud Schwank am Dienstag ihren 100. Geburtstag im Kurhaus Wiesbaden im Restaurant Benners, umgeben von 25 Familienmitgliedern aus vier Generationen. Die jüngste, die Urenkelin Livia, ist gerade einmal drei Jahre alt. Der enge Familienkreis aus ganz Deutschland – Berlin, Nürnberg und Köln – war zusammengekommen, um der Jubilarin zu gratulieren.
Aufgewachsen auf dem Land
Geboren am 15,. Mai 1924 in Gießen, blickt die 100-Jährige auf ein erfülltes Leben zurück: Auf ihre Kindheit und die Zeit auf dem Land in Kloppenheim, wo sie mit Tieren aufwuchs und am Wäschbach ihre Liebe für Wasser entdeckte. Sobald ein Motor zu hören war kamen die Hühner und wollten gefüttert werden, erzählt Ortrud. Schwimmen hat sie in Weilburg an der Lahn gelernt. Da gab es ein Strandbad, erinnert sie sich. Der Wäschbach war dafür nicht geeignet. Als Mädchen sei sie auch viel in Bäumen gekraxelt. Besonders wenn die Früchte reif waren. Oft stieg sie dann auf Bäume um sich Obst zu pflücken – Birnen, Äpfel und Pflaumen, einfach lecker.
Von zu großen Schuhen
Das Abitur macht Ortrud Anfang der 40er Jahr in Wiesbaden an einer Oberschule für Mädchen, der Schlossplatzschule gleich neben der Marktkirche. Nach der Schule war sie beim sogenannten Arbeitsdienst, wo sie in der Landwirtschaft und im Haushalt geholfen hat, zuerst in Kirchberg im Hunsrück und später in Simmern, bis sie zr Wehrmacht eingezogen wurde. 1941 muss das gewesen sein. Die Bombennächte im Luftschutzkeller hatten vielen Angst bereitet, nicht nur Ortrud. Bei der Wehrmacht war sie als Telefonistin einer Flak-Einheit tätig. Das habe ihr nicht geschadet. Sie habe dort eine Menge gelernt. Etwa, dass auch Frauen Männerschuhe tragen konnten. Ihre waren viel zu groß, aber es gab halt nichts anderes.
Sprache und Lesen
Nach dem Krieg zog es Ortrud Schwank zum Studium der Germanistik und Romanistik nach Marburg. Dort lernte sie den Medizinstudenten Wilhelm Schlieker kennen, ihren späteren Mann mit dem sie zwei Söhne bekam, Wilhelm und Reinhard. Ihren Faible für Sprache und Geschichten hat sie den Söhnen in die Wiege gelegt. Beide wurden Journalisten. Wilhelm beim Wiesbadener Tageblatt, Reinhard beim ZDF. Nach dem frühen Tod ihres Mannes heiratete Ortrud ein zweites Mal und kehrte mit der Familie nach Wiesbaden zurück.
„Nun marsch, zur Schule gehn“
Fragt man die 100-Jährige nach ihrem Rezept für ein langes und glückliches Leben? Einfach leben, sagt sie mit einem Lächeln. Frei nach dem Motto, jeden Tag genießen und die schönen Momente festhalten. Bewegung spielte dabei natürlich auch immer eine wichtige Rolle. Mit einer Wandergruppe sei sie einmal von der Quelle der Lahn im Rothaargebirge bis zur Mündung am Rhein gelaufen. Doch am wichtigsten war und ist ihr immer die Familie. Ihre sechs Enkelkinder hielten sie auf Trab und brachten ihr viel Freude. Immer wieder musste sie ihnen vorlesen, und so manche der Geschichten sind ihr bis heute gut in Erinnerung, etwa die Häschenschule, die sie gerne gleich zitiert:
„Kinder“, spricht die Mutter Hase, „putzt euch noch einmal die Nase mit dem Kohlblatt-Taschentuch. Nehmt nun Tafel, Stift und Buch, tunkt auch eure Schwämmchen ein! Sind die Pfötchen rein?“ „Ja!“ – „Nun marsch, zur Schule gehn!“
Herzlichen Glückwunsch zum 100. Geburtstag, liebe Ortrud Schwank!
Foto – Gaby Wolf überbringt die Glückwünsche von Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende und Hessens Ministerpräsidenten. ©2024 Volker Watschounek
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