Mit Sammelleidenschaft, poetischer Präzision und performativem Feingespür definiert Martin La Roche die Grenzen im Nassauischen Kunstverein Wiesbaden neu.
Mit der Ausstellung Memory Palace präsentiert der Nassauische Kunstverein Wiesbaden erstmals eine institutionelle Einzelausstellung von Martin La Roche in Deutschland. Der chilenische Künstler erhält damit die Bühne für ein Werk, das sich seit Jahren konsequent mit dem Sammeln, Erinnern und Archivieren auseinandersetzt. Die Schau erstreckt sich über sämtliche Räume des Hauses – und macht daraus ein räumliches Gedächtnismodell.
Nassauischer Kunstverein , kurz gefasst
Ausstellung – Memory Place
Wann: 28. März bis 15. Juni 2025
dienstags bis freitags, 14:00 bis 18:00 Uhr
samstags und sonntags, 11:00 bis 18:00 Uhr
Vernissage: 27. März 2025, 18:00 Uhr
Wo: NKV, Wilhelmstrasse 15, 65183 Wiesbaden
Im ersten Obergeschoss startet La Roche sein vielschichtiges Parcours-Erlebnis: Foyer, Playroom, Library und Videoraum entfalten jeweils eigene narrative Sphären. Im zweiten Obergeschoss folgen Museum Hall, Color Room, Archive, Winter Garden und Inventory Room – jeder dieser Räume bringt eine eigene Perspektive auf den Umgang mit Wissen, Erfahrung und kollektiver Erinnerung ins Spiel.
Räume voller Erinnerungen
Aber Memory Palace ist keine klassische Werkschau. La Roche verwandelt den Kunstverein in einen Ort, der mehr Gespräch als Galerie ist, mehr Spiel als Schauraum. Besucher durchschreiten über zwei Etagen und neun Räumen ein verzweigtes Geflecht aus Erinnerungen. Die Räume erzählen – durch Objekte, Installationen, Klänge und Texte – von dem, was sich nicht greifen, aber tief empfinden lässt: von Identität, Kindheit, Verlust und der Schönheit des Unspektakulären. Kunst lebt hier in der Auseinandersetzung. In überraschenden Momenten.
Sammeln, erzählen, erinnern
La Roche sammelt nicht nur Dinge, er sammelt Bedeutungen. Seit Jahren durchstreift er Flohmärkte, Haushaltsauflösungen und Museen, hebt auf, was andere achtlos liegen lassen, und verleiht Dingen neue Würde. Socken, Hüte, Spielzeug, Kunstwerke – alles, was ihn anspricht, wandert in sein Archiv. Diese Objekte arrangiert er nicht museal, sondern assoziativ. Sie bilden ein System der Intuition. Erinnerungen verketten sich zu Geschichten, Geschichten formen Räume. Und das Publikum? Es wird eingeladen, mitzuwirken, mitzudenken, mitzufühlen.
Kunst zum Mitmachen: Sandplay
Im Zentrum steht die Installation Sandplay im sogenannten Playroom, eine Arbeit, die gemeinsam mit der Autorin Mirte Behrensen entstanden ist. Inspiriert von Dora Kalis Sandspieltherapie, öffnet La Roche hier einen Raum der nonverbalen Erinnerung. Besucher wählen Objekte, die persönliche Assoziationen hervorrufen, und platzieren sie im Sand – es entsteht eine kollektive, sich wandelnde Skulptur. Was wie ein Spiel beginnt, wächst rasch in die Tiefe: Es geht um Kindheit, Verlust, Trost, Nähe. La Roche kuratiert nicht, er moderiert Begegnungen.
Mikro-Ausstellungen und nomadische Museen
Schon 2011 befasste sich La Roche mit der Idee des Kleinstformats. Die Show of Micro Art, eine Mini-Ausstellung von Mini-Werken, geht auf eine einmalige spontane Ausstellungsituation zurück. Er lud Kollegen aus Umfeld ein, für die Dauer von etwa 7 Minuten kleine Arbeiten zu zeigen. Die Aktion verwandelte den Raum für einen Moment in eine mobile Ausstellung im kleinsten Maßstab. Auch solche radikalen Zeitformate interessieren ihn – nicht aus Gag, sondern um Aufmerksamkeit neu zu lenken. In Wiesbaden greift er diese wieder Idee auf und erweitert sie um performative, erzählerische und interaktive Elemente.
Ein weiterer Höhepunkt ist das Musée Legítime – ein Museum, das in einen Hut passt. La Roche sammelt seit Jahren Miniatur-Kunstwerke, die ihm Künstler weltweit schenken, sofern sie in eine Kopfbedeckung passen. Das portable Museum zieht durch Straßen, Kneipen, Parks. In Wiesbaden wird es erstmals in seiner ganzen architektonischen Breite gezeigt – samt aller 18 Museums-Hüte und 193 Werke.
Erinnerung als Archiv der Zukunft
Ein weiterer Raum widmet sich einem Kreuzworträtsel aus dem Guardian, das La Roche einst in einer Papiertonne fand. Er liest es nicht als Rätsel, sondern als poetische Struktur: Beweis einer alten Wunde, größer als das Leben – diese Hinweise inspirieren ihn zu Bücherreihen, Installationen, Zuordnungen. So wird das scheinbar Banale zum poetischen Impulsgeber.
Im Winter Garden stehen die Dinge nicht offen zugänglich, sondern verborgen. In Kisten lagern 192 Objekte, die das Publikum per Postkarte auswählen und somit kuratieren kann. Ein Witz? Ein Spiel? Ein Denkmodell. La Roche macht das Publikum zum Teil des Gedächtnisses – und zeigt, dass Erinnerung nicht abgeschlossen, sondern immer in Bewegung ist.

Fazit: Eine Einladung zum Mitdenken
Martin La Roche gelingt mit Memory Palace eine Ausstellung, die mehr ist als eine Schau – es ist ein Experiment, ein Gespräch, ein begehbares Archiv. Wer durch diese Räume wandert, sieht nicht nur Kunst, sondern beginnt zu erinnern. An sich selbst, an andere, an das, was war – und an das, was sein könnte.
Foto – Musée Legítime, Martin La Roche zaubert aus seiner Mütze ein Museum ©2025 Volker Watschounek
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