Karten glühen, Züge rauschen leise vorbei. Stimmen erzählen vom Damm, vom Hafen, vom Schnee. Vier Filme von Tekla Aslanishvili.
Der Nassauische Kunstverein Wiesbaden öffnet heute, 17. Oktober 2025, die Türen für die erste umfassende Einzelausstellung der georgischen Künstlerin Tekla Aslanishvili (*1988, Tiflis) in Deutschland. Bis 11. Januar 2026 führt die Künstlerin durch den Südkaukasus und zeigt, mit ihren vier Filmen wie Infrastruktur macht, trennt, verbindet – und wie Menschen damit leben, hoffen, widersprechen. Kuratorin Lotte Dinse setzt auf eine Ausstellungsarchitektur, die nicht nur trägt, sondern erzählt: Filme greifen ineinander, Wege kreuzen sich, Karten zeichnen Flüsse nach, Stahlrahmen spannen Räume auf.
Nassauischer Kunstverein, kurz gefasst
Ausstellung – The Plan and the Map, A Film chronicle of Infrastructural (Dis)assembly
Wann: 16. Oktober 2025 bis 11. Januar 2026
dienstags bis freitags, 14:00 bis 18:00 Uhr
samstags und sonntags, 11:00 bis 18:00 Uhr
Vernissage: 26. Oktober 2025, 18:00 Uhr
Wo: NKV, Wilhelmstrasse 15, 65183 Wiesbaden
Architektur, die den Film weiter schreibt: Zusammen mit der georgischen Architektin und Künstlerin Natalia Nebieridze entwickelte Aslanishvili für die Ausstellung in Wiesbaden eine eindrückliche Raumfigur: Geschwungene Elemente zitieren den Enguri-Staudamm, ein Podest übernimmt seine tragenden Bauteile. Auf ihm liegen geologische Schnitte, Archivmaterial, Fotografien. Nikoloz Tabukashvili, Kameramann aller Filme, hält Drehorte nicht nur im Film fest, und öffnet dadurch einen Dialog zwischen bewegtem und stillem Bild. Im ersten Obergeschoss leuchten zusätzlich Bilder des Alpinisten Guram Tikanadze (1932–1963), der die Berge und den Bau des Enguri-Damms aus nächster Nähe fotografierte.
1. Obergeschoss: Energie, Hafen, Enguri
The Mountain Speaks to the Sea (2024–25, 89 Min., 2-Kanal, Digitalfilm, Archiv und Found Footage)
Der Film folgt dem Enguri vom Hochgebirge bis zum Schwarzen Meer. Er zeigt, wie Wasserkraftwerke, Häfen und Eisenbahnen Landschaften verändern und Lebenswelten verschieben. Am Ende rückt das geplante Hochspannungs-Unterseekabel in den Fokus: Europa sucht erneuerbare Energie, Georgien soll liefern – doch Proteste, Engpässe und Machtkämpfe bremsen die Versprechen.
Scenes from Trial and Error (2020, 30 Min., Digitalfilm, Found Footage)
Die Arbeit blickt auf Anaklia: Die Künstlerin beschäftigt sich darin mit der georgischen Planstadt Anaklia: Ein kleines Fischerdorf am Schwarzen Meer, die sich zur futuristischen „Smart City“ wandeln soll. Beide Anläufe für Tiefseehafen und Smart City scheitern. Der Film verwebt Interviews, Bilder, Karten und fragt, wie große Pläne Gesellschaften spalten und Küsten zeichnen.
Der Nassauische Kunstverein reicht diesen Film in diesem Jahr beim exground filmfest ein.
Auf dem Boden zeichnet eine Installation den Verlauf des Enguri nach – vom Gebirge (oben) bis zur Mündung (unten). So verbinden sich die Filme räumlich und erzählerisch.
2. Obergeschoss: Bahn, Mangan, Widerstand
A State in a State (2022, 47 Min., Digitalfilm, Archiv und Found Footage)
Die Kamera verfolgt Eisenbahnlinien im Südkaukasus und in der Kaspischen Region. Züge halten, warten, stocken. Er befasst sich mit der „BTK“ genannten Zugverbindung vom aserbaidschanischen Baku über Georgiens Hauptstadt Tiflis bis ins türkische Kars. Er schaut auf die fragilen politischen Grenzen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Südkaukasu, auf Arbeiter, die sich organisieren, Transporte verlangsamen, Gewalt abwehren. Die Projektionsfläche sitzt in einem raumgreifenden Stahlrahmen, der die Materialität der Strecke spürbar macht.
Stone of Hell (2021, 24 Min., Digitalfilm, in Zusammenarbeit mit Giorgi „Gago“ Gagoshidze, Archiv und Found Footage)
In Chiatura frisst der Manganbergbau Täler, Häuser, Flüsse. Das Erz härtet Stahl, stützt Schienen, nährt Waffen – und zerstört zugleich Lebensräume. Ein markanter Metallarm unter dem Screen erinnert an Bagger, verweist auf Fördertechnik und bindet Bild und Boden. Eine Wandzeichnung führt Mangan zurück zu seiner zweiten Rolle: als Pigment, das seit der Vorzeit Bilder schreibt – und heute die Moderne spiegelt.
Eine Filmchronik über Aufbruch, Warteschleifen und Selbstbehauptung
Aslanishvili recherchiert präzise, montiert poetisch, lässt Stimmen stehen. Sie hört Aktivistinnen, Wissenschaftler, Journalistinnen zu und legt Konfliktlinien frei: Energiepolitik zieht Kabel, setzt Staudämme, heizt Kryptofarmen an; Tourismus braucht Strom, Dörfer frieren, Gemeinschaften reißen – und finden neue Formen der Selbstorganisation. Musik führt durch Kapitel, Bilder halten aus, Karten klären. So liest man Politik an Dingen: Schienen lenken, Dämme teilen, Hafenbecken versprechen – und Menschen antworten.
Alle Filme sind auf Englisch – zum Teil mit Passagen auf Awarisch, Lesgisch oder russisch, mit Untertieln auf deutsch. Tipp: Wer die Arbeiten von Tekla Aslanishvili insgesamt betrachten möchte, sollte Zeit mitbringen. Gerne kann ein Besuch aber auch abgekürzt und an einem anderem Tag fortgesetzt werden.
Foto – ©2025 Volker Watschounek
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