Altweiberfastnacht – ein Tag, an dem Frauen die Schere ansetzen und Männer sich ergeben. Warum der Brauch mehr als ein Spaß ist, wie er entstand und wo er am 27. März zelebriert wird.
Ich bin ja Rheinländer. In Düsseldorf geboren, erinnere ich mich gut daran, wie mein Vater sich in den 70er Jahren am Mittwoch vor Altweiberfastnacht den Kopf zerbrach: Welche Krawatte sollte er für den morgigen Arbeitstag wählen? Am Ende entschied meine Mutter – mit einem Lächeln. Nimm die alte, die ist sowieso bald fällig. Eine kluge Wahl? Wäre sie am nächsten Abend tatsächlich Geschichte.
Ritual an Altweiberfastnacht
Der Krawatten-Schnitt – Frauen (oft als „Möhnen“ bezeichnet) zücken die Schere und kürzen die Krawatte eines Mannes.
Ein Kuss als Entschädigung – Nach dem Schnitt gibt es traditionell ein Küsschen (Bützchen) als humorvolle Entschuldigung. Damit symbolisieren Frauen spielerisch die Machtübernahme.
Der Schabernack und die Verkleidung – Viele Frauen kleiden sich als Närrinnen, mit bunten Kostümen oder historischen Marktfrauen-Outfits.
Die ausgelassene Stimmung sorgt für viele humorvolle Momente.
Besonders in Düsseldorf, Köln oder Bonn ist das Krawattenabschneiden weit verbreitet. In anderen Regionen wird es kaum praktiziert oder nur in kleinen Kreisen gefeiert.Doch was steckt hinter diesem skurrilen Ritual? In Wiesbaden setzt kaum jemand die Schere an, in Köln und Düsseldorf dagegen gehört er zum festen Karnevalsprogramm. Einmal im Jahr übernehmen die Frauen symbolisch das Zepter – und setzen so den ganzen Tag mit einem Sammelsurium an abgeschnittenen Krawatten ein Zeichen.
Woher kommt der Brauch des Krawattenabschneidens?
Die Wurzeln reichen weit zurück. Im Jahr 1824 schickte sich eine Gruppe von Frauen in Bonn-Beuel an, im damals männlich dominierten Karneval zumindest zeitweise die Regie zu übernehmen. Sie stürmten das Rathaus und schnitten den dort versammelten Herren die Krawatten ab – eine Rebellion mit Symbolkraft. Doch erst nach dem Zweiten Weltkrieg setzte sich das Ritual in seiner heutigen Form durch. Frauen demonstrierten spielerisch Macht, während Männer schmunzelnd kapitulierten. Die abgeschnittene Krawatte – ein Symbol männlicher Autorität – wurde kurzerhand entmachtet.
Machtspiel oder harmloser Spaß?
Und so galt und „gilt“ jahrzehntelang Altweiberfastnacht als witziges Rollenspiel: Frauen bestimmen für einen Tag, Männer beugen sich dem humorvollen Diktat. Doch in einer Zeit, in der Gleichberechtigung täglich neu verhandelt wird, stellt sich die Frage: Ist das noch zeitgemäß?
Manche Unternehmen untersagen das Krawattenschneiden aus Angst vor Missverständnissen oder Diskriminierungsvorwürfen. Andere zelebrieren den Brauch bewusst weiter, um das gemeinschaftliche Erleben zu bewahren. In vielen Rathäusern übergeben Bürgermeister symbolisch den Schlüssel an die Närrinnen – ein Moment der Inszenierung, aber auch ein Augenzwinkern an überholte Machtstrukturen, – und in Wiesbaden geschieht das gleich zweimal: in AKK und auf dem Schlossplatz.
Wo wird Altweiberfastnacht heute noch gefeiert?
Während das Rheinland an Altweiberfastnacht ag Kopf steht, ist der Brauch in anderen Teilen Deutschlands weniger bekannt. Wiesbaden, München oder Hamburg beobachten das Spektakel aus der Ferne. Doch wer einmal eine Altweiberparty in Köln oder Düsseldorf erlebt hat, versteht: Hier geht es um mehr als Scheren und Krawatten. Es ist ein kollektives Loslassen, ein Ventil für die jecken Seelen – und eine Erinnerung daran, dass Karneval eben auch ein Stück Kulturgeschichte ist.
Und heute? Was bleibt vom Brauch?
Die Zeiten ändern sich, aber in den Hochburgen bleibt Altweiberfastnacht. Die Scheren bleiben scharf, die Krawatten fallen – doch immer mehr Männer tragen an diesem Tag bewusst ein günstiges Modell oder gleich eine abgeschnittene Attrappe. Ein Zeichen dafür, dass der Brauch lebendig ist, sich aber weiterentwickelt. Oder aber eine Scham für die, die a Abend immer noch die komplette Krawatte um die Hals hängen haben. Für Bützchen (dem Kuss auf die Wange) kann es schon was mehr sein, als ein schäbiges Ding.
Letztlich geht es aber um das gemeinsame Lachen, um ein Ritual, das verbindet. Und wenn am Abend dann doch die letzte Krawatte gefallen ist, bleibt die Erkenntnis: Karneval ist nicht nur ein Fest – es ist ein Lebensgefühl.
Foto — Krawaattenwahl ©2025 Pixaabay
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