Seit über einem Jahrhundert feilt die Confiserie Kunder an Rezepturen und Zutaten, um Schokoladen-Liebhabern und Naschkatzen unvergessliche Geschmackserlebnisse anzubieten. Jetzt auch in der Mauergasse.
Seit 1957 gibt es in der Wilhelmstraße 12 das Stammhaus der Pralinen- und Schokoladenmanufaktur Kunder, und seit März bekommt man dort auch zu spüren, dass immer weniger hochwertige Pralinen verschenkt werden. Als dann das Kaffeegeschäft mit den schönen Sitzplätzen auf der Wilhelmstraße wieder losgehen sollte, wurde ein Gerüst an die historische Fassade gestellt, um längst fällige Renovierungen vorzunehmen. Das Gerüst bleibt bis Ende 2020 dort stehen. An Durchstarten war nicht mehr zu denken. Jürgen Brand, der Urenkel vom Firmengründer, suchte ein Ausweichquartier – ein kleines Geschäft in der Innenstadt um die Zeit bis zum Ende des Jahres sichtbar zu bleiben. Dabei stieß Brand auf die Räume einer gerade frei gewordenen Boutique in der Mauergasse die ihm so gut gefiel, dass er nach schneller Einigung mit dem Vermieter beschloss, dort zusätzlich ein zweites kleines Geschäft zu eröffnen. Er widmete es seiner Großmutter Lilly, der Tochter der Firmengründer Fritz und Hermine Kunder.
„Ich habe mich direkt in den Laden verguckt. Wir setzen hier mehr auf Laufkundschaft. Natürlich werden wir auch hier unsere bekannten Ananastörtchen verkaufen, nur eben im kleinen handlichen Format. Als Snack zwischendurch.“ – Jürgen Brand, Geschäftsführer
Lilly wurde 1907 in Wiesbaden geboren und wuchs in einer schönen Villa nahe des Hauptbahnhofs auf. Sie verbrachte ihre Kindheit unbeschwert und bekam dann während des ersten Weltkriegs mit, wie schwierig die Situation der Firma wurde. Nach dem Krieg musste die Familie wieder von vorne anfangen und Lilly begann nach Praktika in Wiesbaden, Frankfurt und Hamburg eine Lehre als Konditoreifachverkäuferin. Nach ihrer Lehre arbeitete sie zunächst bei renommierten Konditoreien, unter anderem in Mainz. Dort lernte sie ihren späteren Ehemann Friedrich Brand kennen. Gleich bei seinem ersten Cafebesuch war er von Lilly derart begeistert, dass er den anderen Gästen am Tisch vorschwärmte: Die Frau möchte ich heiraten. Lilly bekam das zufällig mit und hielt die Begegnung am Abend in ihrem Tagebuch fest. Fortan kam Friedrich so lange immer wieder zu Besuch, bis sie endlich einwilligte mit ihm privat auszugehen. Damals ein ungehöriger Vorgang. Der gelernte Brückenbau-Ingenieur verliebte sich derartig in sie, dass er ihr zuliebe eine Ausbildung zum Konditor machte und mit dem Meistertitel abschloss.
„Das Tagebuch von damals gibt es noch. Wir haben es entdeckt und sind auf die Geschichte gestoßen.“ – Jürgen Brand, Geschäftsführer
1938 verstarb Lillys Vater Fritz Kunder unerwartet und Lilly übernahm die Konditorei und das Café. Mit ihrem Mann führte sie die Geschäfte ideenreich durch die schweren Zeiten des zweiten Weltkriegs. An eine normale Konditorei war damals kaum zu denken, Rohwaren und Ausstattung waren offiziell nicht zu bekommen. So musste Lilly zum Beispiel ein Jahr lang warten, bis sie den Bescheid bekam, dass der Antrag auf Kaffeegeschirr abgelehnt wurde. Verständlicher- und glücklicherweise hat sie nicht so lange gewartet. Ihr Mann, der bei dem technischen Hilfswerk in Wiesbaden verantwortlich für Bombenräumung und die Rettung von Verschüttetem war, kam kurz nach dem Krieg bei einer Bombenentschärfung ums Leben. Lilly war jetzt auf sich allein gestellt. Zusammen mit einem angestellten Konditor eröffnete sie am Kureck an einem neuen Standort ein Café mit großem Garten und später – 1957 das heute noch bekannte Stammhaus in der Wilhelmstraße.
„In dem liebevoll eingerichtetem kleinen Cafe in der Mauergasse wird einiges an meine Großmutter erinnern. Neben verschiedenen Rezepten sollen dort auch Bilder an der Wand ihre Geschichte erzählen.“ – Jürgen Brand, Geschäftsführer
In den 50iger und 60iger Jahren traf sich dort die Jugend aus Wiesbaden und die Prominenz nach den Auftritten in der Rhein-Main Halle. Lilly bewirtete sie zunächst alleinverantwortlich und später mit ihren drei Söhnen und ihrer Schwiegertochter mit hochwertigen Leckereien. Nachdem die nächste Generation dann so weit war Kunder zu übernehmen, und den Schwerpunkt von der Konditorei in Richtung Pralinen und Schokoladen verschoben hatte, überlies sie ihnen Anfang der 70iger Jahre das Geschäft. Sie zog nach Bärstadt und beeindruckte fortan ihre zahlreichen Enkel mit Erzählungen aus der Familiengeschichte, ihrer Liebe zur Natur und mit vielen Stunden gemeinsamen Pokerspielens.
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Die offizielle Internetseite der Pralinen- und Schokoladenmanufaktur Kunder finden Sie unter www.kunder-confiserie.de.
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